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Der Nautilus-Plan

Der Nautilus-Plan

Titel: Der Nautilus-Plan
Autoren: Gayle Lynds
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auffällig. Hinter ihm kam, tief über den Lenker gebeugt, ein Radfahrer auf sie zugefahren.
    Sie lauschte dem Rhythmus ihrer Schritte, fühlte ihren ruhigen Herzschlag, testete alle ihre Sinne. Gleichzeitig schärfte sie sich ein, Ruhe zu bewahren.
    Es dauerte nicht lange, und der Radfahrer zischte auf der Lagunenseite an ihr vorbei. Erleichtert verlangsamte sie das Tempo, um nicht den von den Reifen aufgewirbelten Staub einzuatmen. Wenig später verriet ihr ein Luftzug von hinten, dass sie auch der Jogger gleich überholen würde. Um ihm Platz zu machen, zog sie nach links. Aber er zog nicht nach rechts.
    Stattdessen blieb er direkt hinter ihr. Ihr jagte ein kalter Schauder den Rücken hinauf, begleitet von Ärger. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein! Und im selben Augenblick wusste sie es auch schon. Im Hinterkopf, aus einer Zeit, die zu vergessen sie sich sehr bemüht hatte, begriff sie, dass sie schon die ganze Zeit sehr genau auf ihn geachtet hatte, weil er ihr gefolgt war. Er überholte sie nicht, weil er etwas anderes wollte.
    Um ihm zu entkommen, rannte sie mit aller Kraft los. Ihre Füße waren leicht, ihr Antritt explosiv. Ihre Muskeln sangen. Die Vegetation huschte an ihr vorbei, doch seine stampfenden Schritte sagten ihr, dass auch er schnell war. Sie wagte nicht, nach hinten zu sehen. Sie hätte stürzen, das Kliff hinunterfallen können.
    Sie sprang von dem ausgetretenen Pfad, riskierte, auf wilden Grasbüscheln und losen Felsbrocken zu stolpern, steuerte auf den Abhang zu, der zur Lagune hinabführte. Doch mit einer Plötzlichkeit, die ihr panische Angst durch die Adern jagte, spürte sie den keuchenden Atem des Mannes in ihrem Nacken. Verzweifelt versuchte sie, das Tempo noch einmal zu erhöhen, aber sie hatte nichts mehr zuzulegen. Schneller ging es einfach nicht mehr. Sie würde kämpfen müssen.
    Gerade als sie sich umdrehen wollte, klatschte er seine Arme um ihre Taille, hebelte sie von den Beinen und schwang sie auf die dem Meer zugewandte Seite herum.
    Der Himmel über ihr kippte weg. Keuchend stieß sie mit dem rechten Ellbogen nach hinten. Er stöhnte vor Schmerzen. Sie hatte seine Brustmuskulatur, kräftig und elastisch, getroffen, allerdings nicht fest genug, um ihm wirklich etwas anhaben zu können. Er war größer und wesentlich stärker. Sie wand sich von einer Seite auf die andere und erhaschte aus dem Augenwinkel einen kurzen Blick auf sein Gesicht. Kräftiges Kinn, eingefallene Wangenknochen, breite, kurze Nase. Ray-Ban-Sonnenbrille. Seine Lippen waren ein dünner, ausdrucksloser Strich.
    Sie rammte ihm voller Panik den anderen Ellbogen gegen die Schulter und schlug mit der Faust hinter sich nach seiner Kehle. Zu wenig, zu spät. Wie ein großes, gelangweiltes Kind schleuderte er sie einfach von sich und wich wankend zurück.
    Endgültig aus dem Gleichgewicht geraten, flog sie hilflos durch die Luft. Sie riss den Mund auf, ruderte mit den Armen, und aus ihrem Innern brach sich ein wilder Schrei Bahn. Sie erkannte den Laut nicht, und dann war er plötzlich weg, übertönt vom Rauschen der Brandung tief unter ihr.
    Sie fiel auf die Abbruchkante des Kliffs. Da sie nirgendwo Halt fand, stürzte sie mit den Füßen voran in ein beängstigendes, bodenloses Nichts. Verzweifelt um sich schlagend, versuchte sie sich an Grasbüscheln festzuhalten, die sich jedoch sofort mitsamt den Wurzeln aus dem steilen Abhang lösten. Aber wenigstens bremsten sie ihren unaufhaltsamen Sturz, sodass sie nicht in freiem Fall in die Tiefe stürzte. Noch nicht.
    In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen, und Panik drohte sie zu lahmen, aber während ihre Füße nach einem Widerstand tasteten, um ihren Fall zu bremsen, klammerte sie sich an Vorsprüngen und Sträuchern fest. Nichts, was sie zu fassen bekam, hielt lange, und spitze hervorstehende Felsen rissen ihr T-Shirt und ihre Shorts auf, während sie weiter in die Tiefe rutschte. Hände, Arme, Brustkorb, Bauch und Beine überzogen hunderte von Schnitten, Aufschürfungen und Stichwunden. Je mehr sie schwitzte, umso mehr schmerzten und brannten sie und lenkten sie ab.
    Fast hätte sie es verfehlt: ein mickriges Bäumchen, das aus einem Felsspalt wuchs. Auf Füßen, Beinen und Bauch das Kliff hinunterrutschend, bekam sie es mit beiden Händen zu fassen. Wie durch ein Wunder hielt es ihrem Gewicht stand. Sie blieb baumelnd daran hängen und suchte an den Felsen Halt. Unter ihren Füßen war nichts. Der Wind strich eisig über ihre feuchte Haut.
    Die Zeit
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