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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes
Autoren: Patrick Rothfuss
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Der Chronist war überhaupt noch nicht dazu gekommen, es zu tragen. Er seufzte.
    Der Anführer ließ alles Übrige auf dem Umhang liegen und erhob sich. Dann schauten sich die anderen nacheinander die Besitztümer des Chronisten an.
    Der Anführer sagte: »Du hast doch nur eine Decke, nicht wahr, Janns?« Einer der Männer nickte. »Dann nimm dir eine von seinen. Wenn der Winter kommt, brauchst du eine zweite Decke.«
    »Sein Umhang ist in besserem Zustand als meiner, Sir.«
    »Nimm ihn, aber lass ihm deinen da. Das gilt auch für dich, Witkins: Lass ihm deine alte Zunderbüchse, wenn du ihm seine nimmst.«
    »Ich habe meine verloren, Sir«, sagte Witkins. »Sonst gerne.«
    Das Ganze lief erstaunlich zivilisiert ab. Der Chronist wurde bis auf eine all seine Nadeln los, sein zweites und drittes Paar Socken, ein Päckchen Dörrobst, einen Zuckerhut, eine halbe Flasche mit eineralkoholischen Flüssigkeit und zwei Würfel aus Elfenbein. Sie ließen ihm seine übrigen Kleider, sein Dörrfleisch und einen zur Hälfte schon verspeisten Laib trockenen Roggenbrots. Seine Ledermappe wurde nicht angerührt.
    Während die Männer diese Reste wieder in den Reisesack stopften, wandte sich der Anführer an den Chronisten: »Dann mal her mit dem Geldbeutel.«
    Der Chronist gab ihn ihm.
    »Und den Ring auch.«
    »Da ist kaum Silber drin«, murmelte der Chronist und drehte ihn sich vom Finger.
    »Was habt Ihr denn da um den Hals?«
    Der Chronist knöpfte sich das Hemd auf und zeigte einen stumpfen Metallring, der an einem Lederband hing. »Das ist nur Eisen, Sir.«
    Der Anführer kam näher, rieb den Ring zwischen zwei Fingern und ließ ihn dann wieder los. »Den dürft Ihr behalten. Ich stelle mich nicht zwischen einen Mann und seinen Glauben«, sagte er und kippte sich den Inhalt des Geldbeutels in die hohle Hand. Er stocherte mit einem Finger in den Münzen herum und gab einen angenehm überraschten Laut von sich. »So ein Schreiber verdient ja besser, als ich dachte«, sagte er und zählte die Anteile seiner Männer ab.
    »Ihr könntet mir davon nicht zufällig ein oder zwei Pennys lassen?«, fragte der Chronist. »Nur genug für ein paar warme Mahlzeiten?«
    Die sechs Männer sahen sich zu dem Chronisten um, als könnten sie nicht so ganz glauben, was sie da gerade gehört hatten.
    Der Anführer lachte. »Potzteufel, Ihr habt aber wirklich Arsch in der Hose.« In seinem Tonfall schwang widerwilliger Respekt mit.
    »Ihr scheint mir ein vernünftiger Mann zu sein«, sagte der Chronist mit einem Achselzucken. »Und der Mensch muss ja schließlich irgendetwas essen.«
    Der Anführer lächelte zum ersten Mal. »Da werde ich Euch nicht widersprechen.« Er nahm zwei Pennies und steckte sie mit großer Geste in den Geldbeutel des Chronisten zurück. »Zum Lohn für Euren Wagemut.« Er warf ihm den Beutel hin und stopfte sich das schöne königsblaue Hemd in die Satteltasche.
    »Vielen Dank, Sir«, sagte der Chronist. »Ihr solltet wissen, dass die Flasche, die einer Eurer Männer mir genommen hat, Holzgeist enthält, den ich zum Reinigen meiner Federn verwende. Ich kann nur davon abraten, das zu trinken.«
    Der Anführer lächelte und nickte. »Seht ihr, was dabei rauskommt, wenn man die Leute anständig behandelt?«, sagte er zu seinen Männern und bestieg sein Pferd. »Es war mir ein Vergnügen, Sir. Wenn Ihr gleich aufbrecht, schafft Ihr es noch vor Einbruch der Dunkelheit nach Abbott’s Ford.«
    Als der Chronist ihren Hufschlag in der Ferne nicht mehr hören konnte, packte er seinen Reisesack und achtete darauf, dass alles gut verstaut war. Dann zog er sich einen Stiefel aus und zupfte erst das Futter daraus hervor und dann ein eng eingewickeltes Münzpäckchen, das in seiner Stiefelspitze gesteckt hatte. Er tat einige dieser Münzen in seinen Geldbeutel, öffnete dann seine Hose, zog unter etlichen Kleiderschichten ein weiteres Münzpäckchen hervor und tat auch daraus einiges in seinen Beutel.
    Entscheidend war, dass man immer den richtigen Betrag im Geldbeutel hatte. War es zu wenig, waren sie enttäuscht und suchten womöglich woanders nach mehr. War es zu viel, so gerieten sie außer Rand und Band, und man weckte womöglich ihre Gier.
    Ein drittes Münzpäckchen war in den trockenen Brotlaib eingebacken, für den sich nur der allerverzweifeltste Räuber interessieren würde. Dieses ließ er vorerst unangetastet, wie auch das Silbertalent, das er in einem Tintenglas versteckt hatte. Im Laufe der Jahre war es ihm immer mehr wie
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