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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler
Autoren: Sebastian Fitzek
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mochten. Oder welche ihn wieder beseitigen könnten.
    »Ach, Sie meinen Ihre Frau?« Tareski wandte sich ab und ging zu der Wand mit den Hausbriefkästen, so dass Leon sein Gesicht nicht sehen konnte, als er sagte: »Die ist gerade eben mit einem Taxi weg.«
    Leon kniff verstört die Augen zusammen, als würde er mit einer Taschenlampe geblendet, und ging an Tareski vorbei zur Haustür.
    »Sie werden sich den Tod holen«, mahnte der Apotheker hinter ihm, und tatsächlich verkrampfte sich jeder Muskel seines Körpers, nachdem Leon die Haustür geöffnet hatte und auf die Steinstufen der zum Bürgersteig führenden Treppe trat. Das Haus lag in einer verkehrsberuhigten Zone der Altstadt, mit vielen kleinen Boutiquen, Restaurants, Cafés, Theatern und Offkinos wie dem »Celeste«, dessen kaputte Leuchtreklame im Zwielicht der Morgendämmerung am Nachbarhaus über Leons Kopf zuckte.
    Die altertümlichen, Gaslaternen nachempfundenen Straßenlampen brannten noch. Es war Wochenende, und dementsprechend wenige Menschen waren unterwegs. In einiger Entfernung führte ein Mann seinen Hund aus, und der Ladenbesitzer gegenüber zog die Rollläden seines Zeitungskiosks hoch. Die meisten waren noch nicht auf den Beinen oder gar nicht mehr in der Stadt, nachdem die Weihnachtsfeiertage so günstig gelegen hatten, dass man mit nur wenigen Urlaubstagen die gesamte Zeit bis zum Neujahrsfest überbrücken konnte. Die Straßen blieben verwaist, in welche Richtung Leon auch blickte. Kein Auto, kein Taxi, keine Natalie.
    Leon begann mit den Zähnen zu klappern und schlang sich die Arme um den Körper. Als er wieder in den windgeschützten Hausflur trat, war Tareski bereits mit dem Fahrstuhl verschwunden.
    Er fror, war verwirrt und wollte nicht auf den Lift warten, also trat er den Rückweg über die Treppe an.
    Diesmal lief ihm keine Katze über den Weg. Ivana Helsing hielt ihre Tür geschlossen, auch wenn Leon sich sicher war, dass die Alte ihn durch den Türspion beobachtete. Genau wie die Falconis im ersten Stock, das kinderlose und darüber vergrämt wirkende Pärchen, das er durch sein Gestolper und Geschrei sicher geweckt hatte.
    Vermutlich würden sie sich wieder über ihn bei der Hausverwaltung beschweren, so wie sie es schon einmal getan hatten, als er im Frühjahr etwas zu laut in seinen achtundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hatte.
    Verwirrt, erschöpft und am ganzen Körper zitternd, erreichte Leon den dritten Stock, dankbar dafür, dass die Tür noch angelehnt und er nicht ausgeschlossen war.
    Natalies Parfum, ein dezenter Sommerduft, hing noch in der Luft, und für einen Moment verlor er sich in der Hoffnung, er könnte das alles nur geträumt haben, und die Frau, mit der er den Rest seines Lebens verbringen wollte, würde in die dicken Daunendecken eingemummelt friedlich schlafen. Doch dann sah er Natalies unbenutzte Seite des Bettes und wusste, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde.
    Er starrte in den weit aufgerissenen, durchwühlten Schrank, dessen untere Schublade offen stand und leer war, genauso wie der kleine Sekretär neben dem Fenster, auf dem bis gestern noch ihre Schminkutensilien gestanden hatten. Jetzt lag darauf der geschlossene Laptop, auf dem sie sich hin und wieder DVDs ansahen. Ein Kompromiss, da Natalie im Schlafzimmer keinen Fernseher haben wollte.
    Die Uhr auf Leons Nachttisch sprang auf 7.00 Uhr, und die Leuchtstoffröhren über dem hohen Aquarium flackerten auf. Leon sah sein Spiegelbild in dem grünlich schimmernden Beckenglas. Nicht ein einziger Fisch schwamm mehr in den vierhundert Litern Süßwasser.
    Vor drei Wochen waren alle Skalare an einem hartnäckigen Pilz verendet, obwohl Natalie ihren kostbaren Besitz mit größter Akribie gepflegt und täglich die Wasserqualität kontrolliert hatte. Leon bezweifelte, dass sie je wieder Fische halten würde, so niedergeschlagen war Natalie gewesen.
    Die Zeitschaltuhr war nur deshalb noch aktiviert, weil sie sich über die Jahre daran gewöhnt hatten, vom Licht des Aquariums geweckt zu werden.
    Leon zog wütend das Stromkabel aus der Steckdose. Das Licht erlosch, und er fühlte sich verloren.
    Er setzte sich auf die Bettkante, vergrub den Kopf in beide Hände und versuchte, eine harmlose Erklärung zu finden für das, was gerade eben passiert war. Doch sosehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, die Gewissheit zu verdrängen, dass trotz aller Beteuerungen der Ärzte, er wäre geheilt, die Vergangenheit ihn wieder eingeholt hatte.
    Und
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