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Der Nachtwandler

Der Nachtwandler

Titel: Der Nachtwandler
Autoren: Sebastian Fitzek
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seine Krankheit wieder ausgebrochen war.

2.
    »… du musst da reinsprechen.«
    »Wo?«
    »Herrgott, ins Telefon.«
    Der ältere Mann auf dem Band klang ungehalten, offenbar war es nicht der erste Versuch, seiner Frau zu erklären, wie man den Anrufbeantworter besprach. Es knisterte in der Leitung, dann hatte Leons Mutter offenbar den Hörer in Position gebracht.
    »Sie haben den Anschluss von Klaus und Maria Nader gewählt«, sagte sie in einem Tonfall, der an eine schlechte Imitation der Ansage eines Navigationsgeräts erinnerte.
    Bei der nächsten Gelegenheit bitte wenden.
    »Wir sind leider nicht zu Hause.«
    »Ach was«, warf sein Vater trocken aus dem Hintergrund ein.
    Obwohl Leon nicht in der Stimmung war und sich den ganzen Morgen über schon kränklich und leicht benommen fühlte, musste er schmunzeln. Seine Adoptiveltern ließen keine Gelegenheit aus, sich wie die Alten auf dem Balkon in der Muppet Show aufzuführen. Ob mit oder ohne Publikum, zu Hause oder in der Öffentlichkeit – kaum ein Satz des anderen blieb unkommentiert. Unfreiwillige Zuhörer dachten oft, sie wären Zeugen der Szenen einer Ehe, die in den letzten Zügen lag. Sie hatten keine Ahnung.
    »Und wir werden auch so bald nicht zurückrufen, denn wir sind auf einer Kreuzfahrt«, erklärte Maria auf dem Band.
    »Erzähl am besten noch, wo die Einbrecher die Wohnungsschlüssel finden.«
    »Was sollen die denn bei uns schon mitnehmen? Deine Caracho-Bahn?«
    Leon lächelte.
    Seine Mutter wusste natürlich, dass die Marke Carrera hieß, und sagte es mit Absicht falsch, um Klaus zu ärgern. Die Rennstrecke auf dem Dachboden war sein ganzer Stolz. Früher hatte Klaus Nader immer zu Weihnachten mit ihr gespielt, wobei Leon nur zusehen und allerhöchstens mal einen aus der Spur geflogenen Rennwagen wieder auf die Bahn setzen durfte, während sein alter Herr mit glänzenden Augen den Geschwindigkeitsregler bediente. Der Vater-Sohn-Klassiker.
    Heute hatte Klaus mehr Zeit für sein Hobby, seitdem er wegen einer Fingergelenksarthrose keine Teller mehr schleppen konnte, sehr zum Leidwesen von Maria, die »den alten Zausel« jetzt den ganzen Tag zu Hause »ertragen« musste, da er seinen Job als Kellner an den Nagel gehängt hatte.
    Gott, wie ich die beiden vermisse, dachte Leon wehmütig. Was hätte er darum gegeben, jetzt persönlich mit ihnen reden zu können. Für seinen Geschmack war das letzte Treffen schon wieder viel zu lange her.
    Er schloss die Augen und sehnte sich zurück an das Kopfende des schmalen Holztisches in der Küche, den Logenplatz im Reiheneckhaus der Naders, von dem aus man am besten ihre liebevollen Frotzeleien verfolgen konnte. Leon sah seinen Vater förmlich vor sich: die Ärmel hochgekrempelt, die breiten Ellbogen auf dem Tisch, wie er sich nachdenklich das Kinn massierte, während er auf die Rühreier wartete, die seine Frau ihm gerade zubereitete.
    »Wenn’s noch länger dauert, muss ich mich wohl noch mal rasieren gehen.«
    »Gute Idee, aber vergiss diesmal den Rücken nicht.«
    »Willst du etwa behaupten, ich hätte Haare am Rücken?«
    »Nein. Und du hast auch kein Doppelkinn.«
    »Was soll das denn jetzt? Ich habe einen faltigen Hals. Kein Doppelkinn.«
    »Sag ich doch.«
    »Die Reise haben wir von unserem Sohn geschenkt bekommen«, verkündete Maria stolz auf dem Band.
    »Ein guter Junge«, säuselte Klaus und zitierte damit einen von Marias Lieblingskommentaren, den sie immer parat hielt, sobald jemand auf ihren Sohn zu sprechen kam.
    »Ja, das ist er. Du musst gar nicht so mit den Augen rollen, du alter Affe …«
    Ein Piepston schaffte das, was Klaus Nader nur selten gelang. Er schnitt Maria das Wort ab und erinnerte Leon an den Grund seines Anrufs.
    »Äh, Mama, Papa?«, sagte er verwirrt. »Nette Ansage. Ich rufe nur an, weil ich …«
    … fragen wollte, ob Natalie sich bei euch gemeldet hat?
    Seinen Eltern war es nicht anders ergangen als ihm selbst. Sie hatten sich in Natalie verliebt, in der Sekunde, in der sie sie zum ersten Mal sahen.
    »Nenn mich oberflächlich«, hatte sein Vater ihn zur Seite genommen, kurz nachdem Natalie an jenem Sommernachmittag den Gartentisch verlassen hatte, um Maria mit dem Salat in der Küche zu helfen, »aber wenn bei dieser Frau der Inhalt auch nur halb so schön ist wie die Verpackung, dann wärst du noch bekloppter als der Idiot, der gestern an der Fünfzig-Euro-Frage bei Wer wird Millionär gescheitert ist, solltest du die wieder ziehen lassen.«
    Die Zuneigung beruhte
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