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Der Musikversteher

Der Musikversteher

Titel: Der Musikversteher
Autoren: Hartmut Fladt
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Orchester-Epilog geht in eine lange Klang- und Geräuschcollage über, deutlich inspiriert von vergleichbaren Experimenten aus der E-Avantgarde, aber auch mit dem Vorbild ähnlicher Versuche bei den Beatles.
Arcade Fire BLACK MIRROR (2007)
    – http://www.dailymotion.com/video/x46hhx_arcade-fire-black-mirror_music
    Ist BLACK MIRROR einfach Bombast-Rock? Die Tendenz ist da, wie so oft bei Arcade Fire. Die »schwere« Symbolik des Schwarzen Spiegels stützt noch diese Tendenz; und die besondere Rolle der Geräuschebene lässt Assoziationen wild wuchern.
    Zu Beginn der »Intro« gibt es ein ungewöhnliches Pendel  einer »verminderten Quarte« zwischen B und Fis; die Strophe steht dann in g-Moll, alternierend mit d-Moll und B-Dur.
    Intro und Strophenbeginn (0’00’’– 0’40’’) sind mehrdeutig – es wird bewusst in der Schwebe gehalten: Der Text suggeriert Ozean, aber möglich ist auch Sturm, Kriegsgeräusch; gemacht ist es aber erstaunlicherweise mit einer Großen Trommel.
    Eine allgemeine Bemerkung zur Form-Konzeption: Es gibt keinen »ordentlichen« Refrain, sondern als knappen Chorus das wiederholte »Black Mirror«; aber im Verlauf wird das immer länger und immer bedrohlicher. Wir hören einen Teil der dritten Strophe und den Chorus auf Französisch (die Gruppe ist in Kanada zu Hause, 1’50’’– 2’32’’).
    Eine erstaunliche Mischung aus Vertrautem und Befremdlichem: Die »verminderte Quarte« der Intro und des Chorus ist Bestandteil eines »übermäßigen Dreiklangs« d-fis-b – ein in der Popmusik sehr seltenes Ereignis.
    Angespielt wird auf eine märchenhafte Assoziation: »Mirror,  mirror on the wall, show me« –  also »Spieglein, Spieglein an der Wand« – aber nicht: »Wer ist die Schönste im ganzen Land?«, sondern: »Zeig mir die Bomben, die fallen im Land.«
    Die »Conclusio«, Quintessenz (ab 2’44’’) ist überaus böse: Alles Unheil wird hier zusammengefasst und auf den Punkt gebracht. Klar, es ist bombastisch, aber gewaltige Inhalte verlangen gewaltig-gewalttätige Klangpanoramen aus Rock-Instrumentarium, großem klassischem Orchester, Piano, Chor, Geräuschen. Eine große Aussage mit großem Aufwand: Bomben-Bombast, ja, aber gekonnt gemacht.
John Lennon GIVE PEACE A CHANCE (1969)
    – http://www.youtube.com/watch?v=RkZC7sqImaM
    Zweifellos das berühmteste, am weitesten verbreitete Stück von John Lennon und Yoko Ono: Love & Peace im Zeichen des Vietnam-Krieges. Hier sind wir noch einmal im »Kopf-Bauch«-Kapitel (S.122) angekommen. George Martin berichtet von einem Gespräch mit John: »Ich hatte immer gedacht, dass John die Produktionstechniken gefallen hatten, die wir bei Pepper sozusagen als Pioniere zum erstenmal verwendeten. Aber kaum waren wir fertig, da rebellierte er schon dagegen. Er wollte wieder zu dem zurück, was er ›Ehrlichkeit‹ bei der Aufnahme nannte – mit anderen Worten, er wollte so nah wie möglich an eine Live-Aufführung herankommen. (…) Ich habe damals gesagt: ›Denkt symphonisch. Denkt an Themen, die ihr in verschiedenen Tonarten wieder aufgreifen könnt. Denkt an den Kontrapunkt. Denkt daran, einen Song gegen den anderen zu setzen, damit sie einander eine zusätzliche Dimension verleihen. Es gibt so viel, was ihr machen könnt.‹ Aber davon wollte John nichts wissen. ›Das ist für mich kein Rock ’n’ Roll mehr, George‹, meinte er, ›Rock ’n’ Roll, das ist, wenn man zu einem tollen Song so richtig losfetzt.‹«
    Ist »Kunst« oder »was richtig losfetzt« wirklich eine Alternative? Entweder – oder? »Kopf« oder »Bauch«? Kopf ohne Bauch ist hohl, Bauch ohne Kopf ist dumpf. »Gefühl ohne Verstand ist Dusel«, so sagte der Dirigent, Pianist, Komponist Hans von Bülow (die Familie, aus der auch Loriot, Vicco von Bülow, hervorging) im 19. Jahrhundert.
    Wunderbar, aber was ist Verstand ohne Gefühl? »Kopf« und »Bauch« benötigen einander wechselseitig. Abstrakte musikalische Intelligenz und Bildung brauchen sinnliche Unmittelbarkeit, abstrakte sinnliche Unmittelbarkeit braucht das Regulativ von Verstand und Wissen. Und damit ist ein großer Bogen zum Beginn dieses Buches gespannt.
    GIVE PEACE A CHANCE wirkt wie ein Mantra, die beschwörende schamanistische Wiederholung eines dumpf Immergleichen: Ein großes Anliegen wird auf kleinster, bequemster Flamme geköchelt. Vier Takte in der Ewig-Schleife: das müsste der Inbegriff musikalischer Dummheit sein, zumal es sich harmonisch um die beiden simpelsten
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