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Der Musikversteher

Der Musikversteher

Titel: Der Musikversteher
Autoren: Hartmut Fladt
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als »völkisch« missversteht, hat entweder im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst oder betreibt ein böses Spiel. Dass es in diesem Buch eine gewisse Dominanz von Stücken der Beatles gibt, ist sicherlich auch darin begründet, dass da auf eine im »Pop« des 20. Jahrhunderts singuläre Weise das Populare (oft volksliedhaft eingängig!) mit dem Artifiziellen verknüpft ist.
    Auch in der Familie Mozart machte man sich Gedanken über »Pop«: »(…) – vergiß also das sogenannte populare nicht, das auch die langen Ohren Kitzel.« So schrieb Vater Leopold aus Salzburg an den in München weilenden Sohn, und der antwortete: »(…) wegen dem sogenannten Popolare sorgen Sie nichts, denn, in meiner Oper ist Musick für aller Gattung leute; – ausgenommen für lange ohren nicht.« 2 Soll heißen: Leopold fordert, dass populare Musik alle Ohren kitzeln solle, auch die der musikalischen Esel. Sohn Wolfgang Amadé stimmt zu: Seine Musik wendet sich an alle Menschen – aber nicht an diese Langohren, die für ihn der Inbegriff störrischer Ignoranten sind. Und das hat nichts mit sozialer Herkunft oder Geschlecht zu tun.
    Welche Sprachen der Musik gibt es, sind sie sozial/kulturell definiert, ethnisch, politisch? Was haben sie miteinander zu tun, müssen sie »übersetzt« werden, um verstanden zu werden? Dieses Buch soll insgesamt dazu beitragen, über Grenzen nachzudenkenund die verbreiteten Sprachlosigkeiten zu überwinden. Im Mittelpunkt speziell des Kapitels über »Musikalische Grenzüberschreitungen« werden die Tatsachen solcher Grenzen stehen, und ebenso das Nachdenken über ihren Sinn und Unsinn. Dort sind auch Tendenzen zur »Einheitssprache« einer globalisierten Musikindustrie benannt, die bemüht ist, die wunderbare Vielfalt der musikalischen »Sprachen« dem Moloch der ökonomischen Verwertungsprinzipien zu unterwerfen und sie ihm damit zu opfern.
    »Man muss die Leute auch mit Schwierigem konfrontieren. Das ist wie der erste Schluck Campari oder Kaffee – zuerst bitter, aber dann beginnt man, es zu lieben.« 3 »Musik sollte genossen werden. Unleugbar bietet Verstehen dem Menschen eine seiner genussreichsten Freuden.« 4
    Das erste Zitat stammt von Gordon Matthew Sumner, besser bekannt als Sting. Und von den genussreichsten Freuden sprach nicht etwa Bertolt Brecht, sondern (ausgerechnet) Arnold Schönberg, der mit seiner oft schroff-sperrigen, dissonanten Musik mit unerbittlichem Wahrhaftigkeitsanspruch nicht unbedingt zum easy listening einlud. Aber auch bei seinen Kompositionen bietet uns das Verstehen die Chance für eine genussreiche Freude.
    »Es ist mit dem Witz wie mit der Musik, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man.« 5
    So lautet einer der wunderbaren Aphorismen von Georg Christoph Lichtenberg aus dem 18. Jahrhundert. Befreien wir uns von der Illusion, dass Musik – das gilt auch für die Popmusik – voraussetzungslos und unmittelbar »verstehbar« sei. Selbstverständliche, eingeschliffene Kommunikationsstrukturen verführen immer wieder zu dieser Illusion. »Das kann ich doch mitsingen!« – ja, wunderbar, wenn diese Fähigkeit da ist. Aber wie und warum sie existiert, und warum in den meisten anderen Fällen nicht, das bleibt offen.
    Dieses Buch kann nicht den Anspruch haben, ein musiktheoretisches oder musikwissenschaftliches Lehrwerk oder gareine Kompositionslehre zu sein. Aber: alles, was hier musiktheoretisch und musikwissenschaftlich entfaltet wird, soll die Standards der neuesten Erkenntnisse dieser Disziplinen repräsentieren – in einer verständlichen Sprache, mit den korrekten Begriffen, aber ohne überflüssigen fachterminologischen Ballast. Und diese grundlegenden Einblicke in musikalische Phänomene können sicherlich auch die eigene Kreativität anregen.
    In den Grundlagen-Kapiteln des ersten Teils dieses Buches erläutern die zahlreichen Kurzanalysen die entsprechenden übergeordneten musikalischen Sachverhalte. Im zweiten Teil stehen die analytischen bzw. interpretatorischen Ausführungen mehr für sich. Jede dieser Analysen kann separat gelesen werden; gleichzeitig sind sie aber auch zu Gruppen um ein zentrales Thema herum zusammengefasst. Dazwischen sind die von den Gebrüdern Grimm inspirierten Märchen als Parabeln zu lesen, als ein gespiegeltes Panorama des gegenwärtigen Musiklebens. Sie sollen das jeweilige zentrale Thema satirisch erhellen, zur Kenntlichkeit verzerren und gleichzeitig die Kontexte für die Analysen liefern.
    Wer fühlen
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