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Der Musikversteher

Der Musikversteher

Titel: Der Musikversteher
Autoren: Hartmut Fladt
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Neuerungen zu akzeptieren. Sogar die aufgetakelte Geiß, die alte Meckerziege, fraß nun Kreide, nicht aber die eklige Tafelkreide, sondern die feine Schlämmkreide der ehrsamen Schneiderzunft, und davon wurde ihr Mecker-Organ einigermaßen erträglich. So war sie in der Lage, bei den Konzerten die Ansagen zu übernehmen. Wolfmother aber kümmerte sich gar rührend ums Management, entsann sich ihrer wilden Zeit und schrieb noch so manchen heftigen metallischen Song für die Gruppe.
    Alles hätt’ nun sein können wie im Märchen, aber sie fragten sich: »Welche Sorte Musik machen wir denn jetzt wirklich auf Dauer, oder wollen wir etwa so verheizt werden wie vor uns schon manch andere Gruppe vor uns?« Besonders KleinWolf überlegte auf den Proben: »Machen wir hier nun Schweinerock oder Zickendraht oder Rumpelrock?«
    Und dann gab er den Einsatz. Und wie sie so loslegten, da war das nun aber ein echter Rumpel-Rock, und das Wölfchen haute in seine Stratocaster, ließ den Verzerrer aufheulen und jaulte in sein Mikro: »Was rumpelt und pumpelt in meinem Sound herum, ich meint’, es wären lauter Powerchords, so sind’s bloß ganz lausige leere Quinten und Quarten.«
    Und so rumpelten und pumpelten sie von Riesen-Erfolg zu Riesen-Erfolg. Die Zicken-Gang durfte nach Herzenslust gemein und böse sein, und Nummer Sieben verschwand, als ein Teil der Bühnenshow, in der Standuhr, die jetzt mit allerlei elektronischem Schnickschnack aufgemöbelt war, und er sprach sein Sprüchlein vom Uhrenkasten und ließ die Uhr die dröhnende Dreizehn und die Herzen im Publikum höher schlagen.
    Wolfmother durfte sich weiterhin nützlich machen und warf sich ab und zu auch wieder in ihre alten Männerklamotten, um den einen oder anderen Knaller aus ihrer großen Zeit erdröhnen zu lassen. Die aufgetakelte Geiß aber blieb eine blöde Ziege, denn sie fraß nicht nur Kreide, sondern auch ein paar seltsame Blättlein zu viel. Davon drehte sie nun vollends durch und stürzte so ab, dass sie nur noch als abschreckendes Beispiel für die Touristentaugte. Die zeigten sie ihren Kindern und erzählten ihnen das Märchen von Wolfmother und den Sieben Bösen Geißlein. Und wenn sie nicht abgereist sind, erzählen sie noch heute.
Erstes Wiener Gemüse-Orchester RADIOAKTIVITÄT ( Automate, 2003)
    – http://www.youtube.com/watch?v=-l1T2tiaVX4&feature=related
    Da die Bösen Geißlein von Natur aus Vegetarier waren, ließen sie sich auch gern vom Gemüse-Orchester aus Wien inspirieren. Sie wussten, wie auch wir es wissen: Neue Sounds, Klangtüfteleien, neue Raffinessen des Producings – das alles ist für die Unverwechselbarkeit neuer Popularmusik mindestens so wichtig wie die Originalität in den alten »Primär-Parametern« Melodie, Harmonie, Rhythmus, Form, Text. Gleichzeitig registrierten wir zahlreiche »Zurück zu!«-Bewegungen; der Gipfel war der »Retrofuturismus« mit der Flucht aus der Gegenwart. Vorwärts, es geht zurück.
    The Vienna Vegetable Orchestra nimmt die Parole »Zurück zur Natur!« nicht nur ernst, sondern sogar wörtlich. Hier wird, jeweils vor einem Auftritt, das gesamte musikalische Instrumentarium frisch hergestellt: Ein fast ritueller gemeinsamer Akt des Orchesters verwandelt unmittelbar zuvor gekauftes Gemüse in Klang-Erzeuger. Den bei der Herstellung anfallenden »Abfall« kann man weiterverwenden, etwa zu wunderbaren Eintöpfen machen und gemeinsam (vielleicht auch mit dem Publikum) verspeisen. Bei den im Konzert gebrauchten Gemüse-Instrumenten wäre das allerdings weniger appetitlich.
    Was hören wir? Neun bis zwölf ernsthafte Wienerinnen und Wiener verschreiben sich u. a. dem Gurkophon, der Lauchgeige (natürlich gerieben/gestrichen), der Karottenflöte, den Kürbiskongas, dem Rettich-Krummhorn, der Paprika-Trompete mit Möhren-Mundstück, den Auberginen-Rumbarasseln, Sellerie-Bongos, Kohl-Quicas, und statt des Röhren-Marimbaphonseinem Möhren-Marimbaphon (beim Marimba hängen unter Klangstäben Resonanz-Röhren; hier also gehöhlte Resonanz-Möhren).
    Kleine Ernüchterung: das alles wäre kaum hörbar ohne raffinierte Mikrofonierung, z. T. mit Kontaktmikrophonen. Die Tonmeister sind also substantieller Bestandteil des Orchesters. Ein verkabelter Fenchel? Das scheint zwar ein Widerspruch in sich zu sein, klingt aber toll. Noch ein Tipp für Synästhetiker: versuchen Sie, beim Hören nicht nur zu sehen, sondern auch zu riechen! Das funktioniert!
    Musikalisch-stilistisch ist eine bunte Vielfalt festzustellen: vom
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