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Der Musikversteher

Der Musikversteher

Titel: Der Musikversteher
Autoren: Hartmut Fladt
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Stube-Küche-Harmonien handelt: I und V 7 . Bei »give peace a chance« wird die absteigend-schließende Melodie dann auch noch mit »Schusterterzen« angereichert.
    Erstes Aber : die argumentierende rhythmisierte Sprache zwischen diesen Mantra-Viertaktern verhindert das drohende bewusstlose Wegduseln.
    Zweites Aber : die Melodie, die weder mit Blues noch Rock ’n’ Roll noch Folk zu tun hat, ist ein Ohrwurm, der diese gewünschte Mantra-Funktion massenwirksam erfüllt.
Placebo THE BITTER END (2003)
    – http://www.youtube.com/watch?v=FOBeubfr-xY
    Das ist nicht »Britpop« (dagegen verwahrt sich Frontmann Brian Molko), aber doch wohl Alternative Rock. Wo und wie wirken diese »Placebos«, diese Zuckerpillen, die keine Wirkstoffe in sich haben, aber durch Suggestivkraft dennoch dieHeilungsmechanismen aktivieren? Und das in einem Song, in dem nicht nur das Ende, sondern die gesamte Beziehung bitter ist?
    In Intro, Strophe 1 (0’00’’– 0’22’’) haben wir geraden Rock, charakteristischen Offbeat zur »3« des 4/4-Taktes. Verzerrte Gitarren, Schlagzeug, Bass; Moll mit schöner Reizdissonanz der 9.
    Komplizierte Tonart dis-Moll: Sie entsteht durch Verstimmen der Instrumente um einen Halbton abwärts –  nur die hohe e-Saite der Gitarre wird eine Terz tiefer, auf c gestimmt – das ergibt eine insgesamt charakteristische Neufärbung.
    In Strophe 2 (0’32’’– 0’57’’) gibt es eine kurze instrumentale Einleitung zur Hookline (0’53’’– 1’15’’), in der erstmals das Keyboard solistisch-melodisch auftritt. Für den gesamten Song grundlegend: die Pendel-Harmonik zwischen i und VI, also dis-Moll und H major 7 .
    Da ist die zerstörte Beziehung, da wird Betäubung in der »Komfort-Zone« gesucht; und die Hookline prophezeit: »See You at the Bitter End« .
    Die nächste Doppelstrophe ist ganz regulär; aber die zweite Hookline (1’54’’– 2’17’’) zeigt sich erstaunlich reduziert im Sound.
    Krönender Abschluss: eine Synthese aus Strophe, Hookline und Coda. Beschrieben werden Selbstmordgefühle und Grabesgefühle (der Schrei »six feet down«). Die Stimme kontrapunktiert sich selbst, sogar mit zwei Textebenen übereinander (ab 2’32’’).
    Ein echtes Unhappy End. Und das konsequent nur mit den Zwei Pendel-Harmonien.
    Aber: Das wird nicht langweilig, auch, wenn ich es rational befürchten müsste.
    Das macht Spaß zu hören und ist kraftvoll; zwar in den Mitteln reduziert, aber dennoch differenziert. Ja, es sind Placebos, aber sehr wirkungsvolle.
Brandt Brauer Frick BOP (2010)
    – http://www.youtube.com/watch?v=gR8KGam3m9Q&feature=related (ab 1’01’’, lassen Sie sich nicht abschrecken durch die entsetzlich gut gelaunten Moderatoren zu Beginn!)
    You make me real , so heißt das Album. Bei BOP und acht weiteren Stücken haben Daniel Brandt, Jan Brauer und Paul Friedrich Frick die Instrumente (bis auf die Bassklarinette und ein präpariertes Klavier) selbst eingespielt; hauptverantwortlich für die Arrangements war Paul Frick.
    Was ermöglicht diesem Trio, zu dem immer wieder auch weitere hervorragende Musiker hinzukommen, an Hörgewohnheiten einer großen Zahl von Menschen anzuknüpfen, gleichzeitig aber immer weit darüber hinauszugehen? Es ist das Repetitive von Techno und House. Deren Klischees (besonders die rhythmischen) werden aber als Hörgewohnheiten nicht schlicht nur affirmativ bestätigt. Sie sind die Grundlage einer Musik, die von vertrauten Startpunkten aus immer wieder in Neuland aufbricht, und zwar so, dass diese Wanderungen durch verschiedene musikalische Landschaften auch für Nicht-Fachleute sinnlich nacherlebbar werden.
    Der Einsatz von übereinandergelagerten rhythmischen Patterns, die auch durch spezifische Sounds der einzelnen Klangerzeuger unterscheidbar sind – das kennt man, außer in Techno und Techno-Affinem, ebenso aus traditioneller westafrikanischer perkussiver Musik. Die wiederum war anregend für die amerikanische Minimal Music (großes Vorbild: Steve Reich); all das bündelte sich in zahlreichen Kompositionen von György Ligeti (z. B. in einigen seiner späten ETÜDEN für Klavier), die besonders für Paul Friedrich Frick, der ja ein Kompositionsstudium absolviert hat, substantielle Anregungen lieferten.
    Aus einem gleichbleibenden kleinsten Notenwert (Achtel oder Sechzehntel) werden also »Patterns« geformt, unterschiedlichen Gruppen von Vielfachen dieses kleinsten Wertes mit rhythmischen Gestalt-Qualitäten, die den Kopf (vgl.
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