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Der Müllmann

Der Müllmann

Titel: Der Müllmann
Autoren: Helmut Wolkenwand
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wenigstens
zusehen.«
    Nun, das taten wir jetzt. Lucio ging zum Schreibtisch, durchsuchte
zielstrebig die Schubladen und fand dann offensichtlich das, was er gesucht
hatte. Eine Mini-CD.
    »Das sind meine Kalkulationsunterlagen«, hatte Marvin säuerlich
erklärt. »Alle meine Geschäftsdaten, Kontakte und Angebotsgrundlagen. Wenn sie
in die falschen Hände fällt, bin ich erledigt. Ich will sie wiederhaben.«
    »Ich dachte, es ginge um die Windelgeschichte?«
    »Das?« Er schien ernsthaft amüsiert. »Meinst du wirklich, dass ich
mich mit so einem Mist erpressen lasse? Ich hab meinen Spaß, es schadet keinem,
und irgendwie ist es fast schon jugendfrei. Ich meine, jeder hat mal Windeln
angehabt. Wenn mich damit jemand erpressen will, würde ich nur laut lachen.
Aber diese CD kann mich ruinieren.« Er hatte sich vorgebeugt, und als ich in
seine Augen sah, war ich froh, dass er nicht auf mich sauer war. »Besorg mir
die CD. Und richte Lucio einen schönen Gruß von mir aus. Mach ihm klar, dass
ich es nicht lustig finde. Und besorg mir Marcias Nummer. So grandios hat mich
noch keine rangenommen.« Er hatte ungläubig den Kopf geschüttelt und geradezu
empört hinzugefügt: »Er dachte wohl, ich bin ein Weichei, das alles mit sich
machen lässt, nur weil ich manchmal Windeln trage!«
    Richtig. Es war völlig schleierhaft, wie jemand nur auf so eine Idee
kommen konnte.
    Deshalb saß ich jetzt in diesem Café und überlegte mir, wie ich es
einrichten sollte, ein kleines, aber intensives Gespräch mit unserem Freund zu
führen. Eine Idee hatte ich ja schon. Schließlich wusste ich, wo er anschließend
hingehen wollte.

    Offenbar gefiel es unserem Freund Rossi zu Hause nicht, und er benutzte das Café als
sein Büro. Er trug eines dieser Klemmtelefone im Ohr, hatte ein weißes
Mac-Notebook mit Surfstick auf dem Tisch und war schwer beschäftigt. Es störte
ihn nicht sonderlich, wenn andere mitbekamen, was er so tat. Und er war sich
auch nicht zu schade, hier auch zwischendrin einfach mal eines seiner Mädchen
zu ohrfeigen, weil sie ihm nicht den gebührenden Respekt gezollt hatte. Kein
Wunder, dass Anette einen weiten Bogen um ihn machte. Alles in allem war er ein
aufgeblasener kleiner Pascha, dessen selbstzufriedenes Grinsen mir gewaltig
gegen den Strich ging. Nur heute fehlte dieses Grinsen. Offenbar gab es etwas,
das ihn bedrückte. Vielleicht hatte er heute einen schlechten Tag.
    Mal
abwarten, dachte ich. Mit etwas Glück konnte ich ihm den Tag ja noch mehr
versauen.

    Ich
hob die Hand, um Anette herbeizuwinken, mein Cappuccino war alle, und Lucio sah
schon wieder auf seine Uhr. Zum dritten Mal innerhalb einer Minute.
    Anette kam,
ich schenkte ihr ein nettes Lächeln, das mit einem strahlenden Lächeln
ihrerseits beantwortet wurde, und bestellte meinen zweiten Cappuccino. Ich war
erst das dritte Mal hier, aber ich hatte mich bereits mehrfach mit ihr
unterhalten und wusste zum Beispiel, dass sie es sehr bedauerte, nur so wenig
Zeit für ihre kleine Tochter zu haben. Lucio hingegen rief sie immer noch mit
dem Namen Babs, die, so Anette, schon seit drei Monaten nicht mehr hier
arbeitete.
    Anette wollte mir gerade noch etwas von ihrer Tochter erzählen, als
die Tür aufging und nicht nur die kleine Glocke im Türrahmen bimmelte, sondern
auch meine inneren Alarmglocken heftig läuteten.
    Es war nicht nur die weite Lederjacke, auch nicht die Hand, die der
Typ in der Jacke hatte (denn in Deutschland schätzte ich die Wahrscheinlichkeit
grundsätzlich als höher ein, dass einer nachfühlte, ob er seine Brieftasche
dabeihat, als dass er eine Waffe ziehen will) … es war die Art, wie er sich
umsah und dann den Blick auf Lucio richtete.
    Was die Wahrscheinlichkeiten anging: Diesmal war es keine
Brieftasche … sondern eine Walther PPK. Die kleine 7.65er, die man aus den
alten James-Bond-Filmen kannte. Ganz klassisch hier sogar mit einem Schalldämpfer.
    So ein Ding hätte ich nicht verwendet, zu wenig Durchschlagskraft
und nicht besonders zielgenau. Aber wenn man aus zwanzig Zentimeter Entfernung
jemandem zweimal in den Kopf schoss, dann war derjenige meistens doch
zuverlässig tot.
    Genau das tat unser Neuzugang. Er trat an Lucio heran, zog die Waffe,
schoss ihm zweimal in den Kopf, steckte die Waffe wieder ein, nahm Lucios Aktenkoffer,
öffnete ihn, legte das Notebook und Lucios Handy hinein, klappte den Koffer
wieder zu, sah einmal in die Runde, nickte mir freundlich zu und ging.
    Den Koffer nahm er mit.
    Ich sah es vom Boden
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