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Der Müllmann

Der Müllmann

Titel: Der Müllmann
Autoren: Helmut Wolkenwand
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fallen zu lassen.
    »Ich habe mich noch gar nicht bedankt«, sagte sie leise.
    »Wofür?«
    »Dass Sie mich beschützen wollten.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nicht der Rede wert. Sie waren nicht in
Gefahr.«
    »Meinen Sie?«, fragte sie skeptisch.
    »Er hatte es nur auf unseren italienischen Freund abgesehen.«
    »Mag sein, aber das wussten Sie ja nicht.« Sie seufzte. »Ich komme
wahrscheinlich zu spät nach Hause«, teilte sie mir bedrückt mit. »Mein
Babysitter geht um sechs und dann ist meine Kleine alleine! Und mein Chef
meint, ich soll das hier alles regeln, bis er kommt. Aber das ist erst um
acht!« Sie sah mich fragend an. »Was meinen Sie, wie lange wird das mit der
Vernehmung dauern?«
    Ich zuckte die Achseln. Bislang hatte ich es vermeiden können,
vernommen zu werden, mir fehlte darin die Erfahrung. Wenigstens in Deutschland.
Eines war beruhigend: Wahrscheinlich würden keine langen Stöcke zum Einsatz
kommen.
    Aber ich musste zugeben, dass auch ich neugierig war, zu sehen, wie
das hier weiterging.
    »Der Gedanke zählt«, sagte sie, und ich sah sie fragend an, ich
hatte den Faden irgendwie verloren.
    »Als Sie sich auf mich geworfen haben«, erklärte sie. »Das war
richtig ritterlich!« Die Art, wie sie mich ansah, war mir fast schon peinlich,
ich war froh, als der Polizist sich vor uns räusperte und anfing, die
Personalien aufzunehmen.

    Draußen
vor dem Bistro wurde es etwas voller, als ein weiterer Polizeiwagen und ein
grüner Van ankamen. Die Kripo und die Spurensicherung, so wie es aussah. Ich
sah auf die Uhr, seit den Schüssen waren zwanzig Minuten vergangen.
    »Ist das
Schmidt mit dt, t oder tt?«, fragte der Polizeibeamte. Schmitt. Mit Doppel-t.
Schmidt hatte ja jeder. War wie mit Rossi, man will ja nicht die Masse sein.
    »Schmitt. Mit zwei t bitte«, antwortete ich, allerdings etwas
abgelenkt, da meine Aufmerksamkeit von einer Frau gefangen wurde, die gerade
hereingekommen war.
    Groß war sie und athletisch, vielleicht etwas jünger als ich, Ende
dreißig also. Sie hatte ihr volles schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz
zusammengebunden, dennoch sah man, dass es schwer zu bändigen war, diese Sorte
Haar, die so fest ist, dass man ein Buch auf die Frisur legen konnte … Ich
lächelte, weil ich mich gerade an ein junges Mädchen erinnerte, das mir
frustriert genau das vorgeführt und sich darüber aufgeregt hatte, dass sie für
ihr Haar angeblich eine Drahtschere brauchen würde.
    Die Frau ging mir bis fast an die Schultern, trug Sportschuhe und
Jeans, unter der sich ein fester Hintern abzeichnete, eine grüne Windjacke, zu
drei Vierteln offen, darunter ein weißes T-Shirt mit dem Bundesadler darauf.
Aber es war das fein gezeichnete, fast schon aristokratische Gesicht mit den
dunkelgrünen Augen, das mich fesselte, vor allem das entschlossene Kinn. Das
Mädchen mit den Drahthaaren und dem Buch darauf hatte das gleiche Kinn
besessen. Marietta? Je länger ich sie ansah, desto sicherer wurde ich mir.
Eines war sicher, von uns beiden hatte sie sich eindeutig besser gehalten.
    Ja, das war Marietta. Kein Zweifel möglich. Vielleicht wurde das heute
doch noch ein guter Tag. Nun, dachte ich mit einem Blick zu Lucio, nicht
unbedingt für ihn, aber vielleicht für mich.
    Bist du etwa nervös?
    Das konnte man so sagen. Dass mir die Handflächen das letzte Mal so
geschwitzt hatten, war jetzt gute zweiundzwanzig Jahre her. Bevor ich all
meinen Mut zusammengenommen hatte, um sie zu küssen.
    Und dann bist du Depp zur
Bundeswehr gegangen.
    Tja, noch eine dieser Entscheidungen, die man in Muße bereuen
konnte. Vor allem wegen ihr. Marietta, wenn sie es wirklich war, widmete uns
allen nur einen kurzen Blick, ein knappes Nicken zu den Streifenbeamten folgte,
der Rest ihrer intensiven Aufmerksamkeit galt bereits schon Lucios sterblichen
Überresten.
    Bis jetzt hatte sie es noch nicht für nötig befunden, sich uns
vorzustellen. Wer und was sie war, konnte man sich allerdings auch denken, ohne
dass sie einen Ausweis vorzeigte. Sie trug eine Pistole im Gürtelholster, und
als sie sich vorbeugte, um Lucio besser sehen zu können, rutschte die Windjacke
hoch und man sah eine lederne Tasche für die Handschellen. Außerdem trug sie
einen roten Slip.
    Ich lehnte mich im Stuhl zurück und sah zu, wie sie in aller Ruhe
die Szene in sich aufnahm. Sie ließ sich Zeit, während draußen ihre Kollegen
mehr oder weniger geduldig warteten.
    Nur einer, ein langer, schlaksiger Kerl in einem dunkelgrauen Anzug – wie
Lucio
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