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Der Müllmann

Der Müllmann

Titel: Der Müllmann
Autoren: Helmut Wolkenwand
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anderen Seite der Leitung zu vermitteln, dass hier tatsächlich jemand
erschossen worden war. Ja, ganz sicher. Nein, er ist tot … Ja, Irrtum
ausgeschlossen. Woher sie das weiß? Weil sie es gesehen hat. Ob er noch atmet …
Anette schaute den Telefonhörer fassungslos an und holte tief Luft. Nein, er
atmet nicht mehr. Deshalb wäre es ja auch ein Mord, den sie hier der Polizei
meldet!
    »Bedienung, können Sie mir bitte noch einen Kaffee bringen?«, fragte
die ältere Frau höflich, der das Telefonat nun schon zu lange dauerte.
    »Und mir die Rechnung«, fügte der Mann mit der Zeitung hinzu. »Ich
habe jetzt wirklich keine Zeit, mich mit der Polizei herumzuschlagen!«

    Ich
gab gerne zu, dass es mich auch etwas irritierte. Zum einen befanden wir uns
hier in einem Café in Bornheim und nicht in einer zwielichtigen Bodega in
Kolumbien. Zum anderen machte man so etwas einfach nicht. Wenn so etwas schon
nötig ist, dann erledigt man das doch bitte diskreter. Man geht nicht einfach
so in ein Bistro, in dem ein Dutzend Zeugen sitzen, und ballert in der Gegend
herum!
    Und warum
zur Hölle hatte der Kerl mir zugenickt? Egal was es zu bedeuten hatte, eines
war jetzt sicher … es wurde kompliziert. Es hatte auch kaum Sinn, mich zu
verdrücken, ich hatte hier gestern mit Kreditkarte gezahlt und Anette kannte
meinen Namen.
    Das Glöckchen an der Tür bimmelte erneut, diesmal war es der junge
Mann, der sich mit Lucios prall gefüllter Brieftasche verdrückte. »Hey!«, rief
das Mädchen und sprang auf, um ihm hinterherzurennen. »Gib mir was ab, du
Mistkerl!«
    »Die haben beide nicht bezahlt«, beschwerte sich der ältere Mann
empört. Anette schüttelte nur den Kopf, seufzte und sah Hilfe suchend zu mir herüber.
    »Mach dir keine Gedanken, Anette«, versuchte ich sie zu beruhigen,
»die Polizei wird sie schon finden.«
    »Bitte, ich möchte noch einen Kaffee!«, rief die alte Frau erneut
und sah dann missbilligend auf die rote Pfütze herab, die sich langsam unter
Lucios Kopf ausbreitete. »Und vielleicht sollte das mal jemand aufwischen«,
fügte sie noch mit leicht tadelnder Stimme hinzu. »Ich finde, das gehört sich
einfach nicht!« Damit hatte sie sicherlich auch recht. Auch wenn ich nicht ganz
sicher bin, was genau sie meinte. So vorwurfsvoll sie den Toten ansah, konnte
es auch sein, dass sie ihm vorwarf, hier unpassend verstorben zu sein.

    Sieben
Minuten später hielt ein Streifenwagen vor der Tür und zwei Polizisten stiegen
aus, um ganz gemächlich hereinzustiefeln. Sie fanden Anette vor, die ältere
Frau und mich, sowie einen weiteren Gast, der zwischenzeitlich hereingekommen
war, um sich den Schlamassel ganz genau zu besehen. Lucio war das egal, er hing
noch immer da, als würde er gleich vom Stuhl rutschen, hatte sich aber keinen
Millimeter mehr bewegt.
    Die
Polizistin besaß langes, volles, üppiges, blondes Haar, blaue Augen und sah aus
wie ein Rauschgoldengel in einer viel zu großen Uniform. Kaum einen Millimeter
über der Mindestgröße sah sie im ersten Moment so aus, als ob man sie vor einem
Windstoß beschützen müsste. Allerdings war sie es, die sich über den Toten
beugte. »Der ist wirklich hin«, stellte sie ungerührt fest und richtete sich
wieder auf. Sie zog einen Streifen Kaugummi aus ihrer Jackentasche und hielt
sie ihrem Kollegen hin. »Du auch einen?«
    Der schüttelte nur den Kopf, sprach in sein Funkgerät und bedeutete
gleichzeitig Anette mit einer Geste, ihnen zwei Kaffee zu machen.
    Ich fand es faszinierend. Seit den Schüssen waren nunmehr zwölf
Minuten vergangen. Der Polizist ging geschäftig raus an die Tür und sah sich
suchend um, als stünde der Mörder vielleicht noch irgendwo, sah erwartungsgemäß
nicht viel und kam auch gleich wieder herein.
    Hatte er damit vielleicht sogar das Richtige getan? War ja möglich,
dass es das ja wirklich gab, dass der Mörder an der Ecke stand und zusah, was
die Polizei so trieb. Heutzutage schien mir alles denkbar.
    »Die Kripo ist gleich da«, teilte der Polizist uns dann gewichtig
mit. »Ich muss Sie deshalb alle bitten, solange hierzubleiben, bis wir Sie
vernehmen können!«
    Das hatten sich auch andere schon gedacht, deshalb waren fünf Gäste
zwischenzeitlich schon gegangen.
    »Haben Sie auch fettarme Milch für meinen Kaffee?«, fragte die
Polizistin höflich und kaute ihren Kaugummi.
    Anette stellte der Polizistin wortlos eine Packung fettarme Milch
auf die Theke und kam dann zu mir an den Tisch, um sich erschöpft in den Stuhl
neben mir
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