Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle
Autoren: Joseph Wambaugh
Vom Netzwerk:
Geh erst mal auf die Toilette und wasch dir das Gesicht und Arme und Hände – und vor allem auch den Hals.«
    »Woher wollen Sie wissen, daß ich dort nicht durchs Fenster abhaue?«
    »Weil es dort kein Fenster gibt. Und kämm dir gefälligst die Haare aus dem Gesicht, damit man dich wenigstens ein bißchen sehen kann.«
    »Ich habe keinen Kamm.«
    »Dann nimm meinen.« Ich griff in meine Tasche und gab ihm meinen.
    T-Bone brachte den Saft, den Kaffee und die Milch, nachdem der Junge auf die Toilette verschwunden war. Inzwischen roch es im ganzen Lokal nach gebratenem Speck. Ich wünschte mir bereits, ich hätte mir eine doppelte Portion bestellt, obwohl ich wußte, daß mir T-Bone sicher eine ordentliche Ladung auf meinen Teller häufen würde.
    Ich schlürfte gerade meinen Kaffee, als der Junge zurückkam. Obwohl sein Hals immer noch schmutzig war, sah er doch wesentlich passabler aus. Er hatte sich das Haar aus dem Gesicht gekämmt, und Gesicht und Hände waren sauber. Er war kein hübscher Junge – dafür war sein Gesicht bereits zu hart und verhärmt. Aber er hatte schöne Augen, die voller Leben waren, und er sah einen richtig an, wenn man mit ihm sprach. Das gefiel mir am besten an ihm.
    »Da, dein Orangensaft.« Ich schob ihm das Glas hin.
    »Hier haben Sie Ihren Kamm zurück.«
    »Behalt ihn. Ich weiß sowieso nicht, weshalb ich das Ding eigentlich mit mir herumschleppe. Mit meiner Drahtbürste läßt sich sowieso nichts anfangen. Ich hoffe nur, daß ich bald eine Glatze kriege.«
    »Ja, mit einer Glatze würden Sie bestimmt auch nicht schlechter aussehen«, meinte er mit einem prüfenden Blick auf mein Haar.
    »Jetzt trink deinen Orangensaft, Kleiner.«
    Während wir beide unseren Saft tranken, schob T-Bone ein Tablett mit unserem Essen über die Theke und sagte: »Hier, Bumper.« Bevor ich noch reagieren konnte, war der Junge bereits aufgesprungen, um das Tablett an unseren Tisch zu bringen und alles zu servieren, als wäre dies das Selbstverständlichste auf der Welt für ihn.
    »He, du weißt ja sogar, auf welche Seite man Messer und Gabel legt«, lobte ich ihn.
    »Klar. Ich habe mal als Kellnerlehrling gearbeitet. Wenn Sie wüßten, was ich schon für Jobs hatte!«
    »Wie alt bist du, hast du gesagt?«
    »Vierzehn – das heißt, fast vierzehn. Ich werde nächsten Oktober vierzehn.«
    Als er alles serviert hatte, setzte er sich und machte sich daran, seinen Teller leerzuputzen, als wäre er genauso hungrig, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich legte ihm sogar noch eines von meinen Eiern auf den Teller, als ich merkte, daß ihm seine nicht reichten. Außerdem gab ich ihm noch eine Scheibe von meinem Toast. Von Essen verstand der Junge wirklich etwas. Das war noch etwas, was mir an ihm gefiel.
    Als er gerade seinen letzten Marmeladetoast aß, ging ich zur Tür und schaute nach meinem Wagen. Ein Mechaniker wechselte gerade die Batterie aus. Als er mich sah, bedeutete er mir, daß alles in Ordnung war. Ich winkte zurück und setzte mich wieder an unseren Tisch, um meinen Kaffee auszutrinken.
    »Bist du jetzt satt?« fragte ich den Jungen.
    »Ja, danke.«
    »Willst du nicht doch noch ein bißchen Speck und ein paar Scheiben Brot?«
    »Nein, so ein Frühstück bekomme ich wirklich nicht allzu oft.« Er grinste mich an.
    Als wir uns dann zum Gehen anschickten, versuchte ich, T-Bone etwas für das Essen zu zahlen.
    »Also, jetzt hören Sie mal, Bumper. Sie wissen doch, daß ich von Ihnen nichts annehme.«
    »Na, dann möchte ich wenigstens alles bezahlen, was der Junge gegessen hat.« Ich wollte ihm ein paar Scheine zustecken.
    »Nein, Bumper, das kommt gar nicht in Frage.«
    »Na ja, vielen Dank, T-Bone, und bis dann«, verabschiedete ich mich. Er hob seine mächtige, dunkel behaarte Pranke und lächelte golden und silbern. Fast hätte ich ihn gefragt, woher er diesen Silberzahn hatte, da dies die letzte Gelegenheit sein würde.
    »Werden Sie mir jetzt Ihre Armreifen wieder anlegen?« fragte der Junge, während ich mir eine Zigarre ansteckte und den Morgensmog einatmete.
    »Versprichst du mir, nicht abzuhauen?«
    »Ich schwör's sogar. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich diese verdammten Dinger hasse. Man fühlt sich damit so hilflos, wie ein kleines Kind.«
    »Also gut, dann gehen wir zum Wagen zurück.« Ich überquerte mit ihm die Straße.
    »Wie oft kommst du eigentlich so in die Stadt, um was einzukaufen?« fragte ich ihn, als wir im Auto saßen.
    »Ich war vorher noch nie allein hier.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher