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Der Mord zum Sonnntag

Der Mord zum Sonnntag

Titel: Der Mord zum Sonnntag
Autoren: Mary Higgins Clark
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und blau gemustertes
Baumwollkleid, das sie bei Bergdorf Goodman gekauft
hatte, das aber, wie sie sich bei Willy beschwerte, an ihr
auch nicht viel anders aussah als das damals, kurz vor dem
Lotteriegewinn, in einem Ramschladen erstandene
Sonderangebot. «Ich bin eben zu dick, daran liegt’s»,
jammerte sie und bestrich einen warmen Preiselbeermuffin
mit Butter. «Also diese Muffins hier schmecken einfach
himmlisch. Du, Willy, ich bin richtig froh, daß du dir die
gelbe Leinenjacke gekauft hast. Die bringt deine blauen
Augen prima zur Geltung, und dein Haar ist auch immer
noch so schön voll.»
«Ich komm’ mir vor wie ein Kanarienvogel mit zwei
Zentner Lebendgewicht», meinte Willy. «Aber
Hauptsache, dir gefällt’s.»
Nach dem Abendessen gingen sie ins Cape Cod
Playhouse und bewunderten Debbie Reynolds in einer
neuen Komödie, die nach der Erprobung in der Provinz
am Broadway herauskommen sollte. Als sie in der Pause
auf dem Rasen vor dem Theater ein Ginger Ale tranken,
verbreitete sich Alvirah über Debbie Reynolds, für die sie
von jeher eine Vorliebe hatte, schon seit deren
gemeinsamen Auftritten mit Mickey Rooney in Musicals,
und über die furchtbare Geschichte, wie Eddie Fisher sie
mit den zwei kleinen Kindern hatte sitzenlassen. «Und
was hat es ihm gebracht?» sinnierte Alvirah, als das Ende
der Pause signalisiert wurde. «Viel Glück hat er danach
nicht mehr gehabt. Wer unrecht handelt, kriegt am Schluß
eben doch die Quittung präsentiert.» Dabei mußte Alvirah
wieder an ihre Nachbarin denken, und sie fragte sich, ob
Charley Evans das erbetene Material mit Eilboten
abgeschickt hatte. Hoffentlich – sie konnte es kaum
abwarten, es zu lesen.
Während Alvirah und Willy sich über Debbie Reynolds
amüsierten, begann Cynthia Lathem endlich klar zu
werden, daß sie tatsächlich frei war, daß zwölf Jahre Haft
hinter ihr lagen. Vor zwölf Jahren … Ihr vorletztes
Studienjahr vor der Graduierung an der Rhode Island
School of Design hatte gerade angefangen, als ihr
Stiefvater Stuart Richards im Arbeitszimmer seiner Villa,
einem stattlichen Kapitänshaus aus dem 18. Jahrhundert in
Dennis, erschossen aufgefunden wurde.
Am Nachmittag war Cynthia auf dem Weg zum
Ferienhaus dort vorbeigefahren und von der Straße
abgebogen, um es genau zu betrachten. Wer wohnte jetzt
wohl in der Villa? Hatte ihre Stiefschwester Lillian das
Anwesen verkauft oder es behalten? Es war seit drei
Generationen im Familienbesitz, doch sentimental war
Lillian Richards noch nie gewesen. Und dann hatte
Cynthia Gas gegeben, wie gejagt von den auf sie
einstürmenden Erinnerungen an jene grauenhafte Nacht
und an die darauffolgenden Tage. Die Anklage. Haft,
Verhör, Verhandlung. Ihre feste Zuversicht zu Anfang:
«Ich kann einwandfrei nachweisen, daß ich um 20 Uhr das
Haus verlassen habe und erst nach Mitternacht
zurückgekommen bin. Ich hatte eine Verabredung.»
Fröstelnd wickelte Cynthia den hellblauen wollenen
Morgenmantel enger um den schlanken Körper. Als sie ins
Gefängnis ging, hatte sie 57 Kilo gewogen; ihr jetziges
Gewicht von knapp einem Zentner war bei 1,70 Meter
Größe entschieden zu wenig. Ihr früher dunkelblondes
Haar war in diesen Jahren mittelbraun geworden. Fad,
dachte sie beim Bürsten. Die haselnußbraunen Augen, die
sie von ihrer Mutter geerbt hatte, blickten teilnahmslos,
leer. An jenem letzten Tag hatte Stuart Richards beim
Lunch erklärt: «Du siehst deiner Mutter immer ähnlicher.
Ich hätte soviel Verstand haben müssen, sie nicht
aufzugeben.» Von seinen beiden Ehen hatte die mit ihrer
Mutter am längsten gehalten. Als sie heirateten, war
Cynthia acht und bei der Scheidung gerade zwölf. Lillian,
sein einziges leibliches Kind, zehn Jahre älter als Cynthia,
lebte bei ihrer Mutter in New York und kam selten nach
Cape Cod.
Cynthia legte die Bürste auf die Frisierkommode. War es
ein verrückter Einfall, diese Gegend wieder aufzusuchen?
Zwei Wochen aus dem Gefängnis entlassen, kaum
genügend Geld für die nächsten sechs Monate, keine
Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen könnte oder
sollte. Hätte sie sich die Miete für dieses Haus, für den
Wagen überhaupt leisten dürfen? Gab es dafür auch nur
den leisesten plausiblen Grund? Was hoffte sie, damit zu
erreichen?
Eine Stecknadel im Heuhaufen, dachte sie. Als sie in das
kleine Wohnzimmer ging, zog sie einen Vergleich
zwischen Stuarts prachtvoller Villa und diesem winzigen
Häuschen, das ihr freilich
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