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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten
Autoren: Corina Bomann
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eigene Gedanken versunken. Lilly betrachtete ihre Mutter, das vertraute Gesicht, dessen ganze Geschichte sie nicht gekannt hatte.
    Würde sie diese Geschichte ebenso zurückweisen wie damals die Geige?
    »Hat meine Mutter, Ihre Schwester, je versucht, Kontakt mit Ihnen aufzunehmen?«, brach Ellen schließlich das Schweigen.
    Jennifer seufzte daraufhin und versank minutenlang in Schweigen. »Ja, das hat sie«, antwortete sie schließlich. »Lilly, wenn du zu Hause bist, schau mal in die unterste Schublade meiner Kommode im Schlafzimmer. Ganz hinten liegt ein Brief. Zeig den Ellen, wenn ihr zurückfahrt, ja?«
    Lilly nickte und warf einen Blick zu Ellen, die gespannt auf ihrer Unterlippe herumkaute.
    »Als ich noch klein war, hatte ich immer diese Erinnerung«, fuhr Jennifer fort, und ihr Blick richtete sich auf einen leeren Punkt an der Wand gegenüber. »Wir waren auf einem Schiff, und bei mir waren meine Schwester und meine Eltern. Mehr wusste ich nicht, denn ich war noch viel zu klein. Es war wie ein Foto, das ich mit mir herumgetragen habe, eine Momentaufnahme. An den Angriff selbst kann ich mich nicht mehr erinnern, auch an alles andere danach nicht mehr. Nur daran, dass ich mal eine Familie hatte, Vater, Mutter, Schwester.« Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann fort. »Mit der Zeit habe ich geglaubt, dass meine Familie einfach umgekommen sei. Oder dass ich sie mir nur eingebildet habe. Und dann tauchte eines Tages dieser alte Mann mit der Geige auf, der behauptete, dass ich eine Schwester gehabt hätte. Ich habe ihn weggeschickt, weil ich glaubte, dass er ein Spinner sei. Und dann habe ich nachgeforscht. Den Wortlaut des Briefes, den ich daraufhin bekommen habe, habe ich nie vergessen. Er stammte vom 14. August 1973, und das Standesamt teilte mir darin mit, dass ich adoptiert worden sei – und dass ich tatsächlich eine Schwester gehabt hatte, die in eine andere Pflegefamilie gegeben worden sei. »
    Lilly bemerkte, dass Ellen die Tränen kamen.
    »Meine Mutter ist am 22. Februar 1973 verunglückt, sie ist von der eisglatten Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Meine Pflegeeltern haben es mir erst erzählt, als ich sechzehn war. Allerdings haben sie nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich eine andere Mutter hatte.«
    »Meine Eltern haben mir nie etwas davon erzählt«, entgegnete Jennifer. »Ich konfrontierte sie mit dem Brief, was dazu führte, dass wir gut zwei Jahre lang nicht mehr miteinander redeten. Ich führte meine Nachforschungen weiter, und das Ergebnis war ernüchternd. Man gab mir die Auskunft, dass Miriam Pauly verunglückt sei. Ich fand ihren Grabstein und erfuhr, dass ihr kleiner Sohn mit ihr begraben worden war, und da sie nicht verheiratet war, ging ich davon aus, dass es keine weitere Familie gab. Auch die Leute, die Miriam adoptiert hatten, lebten nicht mehr. Da ich der Meinung war, dass es damit niemanden mehr gab, den ich hätte fragen können, habe ich die Sache auf sich beruhen lassen und niemandem etwas davon erzählt. Wenn ich gewusst hätte, dass du meine Nichte bist …«
    »Meine Mutter hat mir nicht mehr erzählen können, dass ich eine Tante habe«, entgegnete Ellen. »Das Jugendamt wusste von nichts und hat mich einfach zu Pflegeeltern gegeben.«
    »Niemand hat etwas ahnen können, Mama«, sagte Lilly und legte ihrer Mutter die Hand auf den Arm. Die Möglichkeit, gemeinsam mit Ellen aufzuwachsen, wäre zwar wunderbar gewesen, aber niemand, der an diesem Tisch saß, hätte etwas tun können, um das zu ändern.
    »Ich hätte diesen Karl Hinrichs aufsuchen und ihm sagen sollen, dass er recht hatte. Aber das habe ich nicht über mich gebracht. Obwohl ich meine Schwester nicht kannte, habe ich um sie getrauert, doch dann habe ich dich angesehen und mir gesagt, dass alles, was geschehen sein mochte, nicht umsonst gewesen war. Und nun kenne ich dank euch beiden die ganze Geschichte.«

33
    Der Anruf erreichte Lilly, als sie gerade aus dem Krankenhaus kam und zur S-Bahn lief. Mittlerweile stand ihre Mutter kurz vor der Entlassung, ihr Vater würde am nächsten Abend von seiner Reise zurückkehren, und leider ging damit auch Ellens Zeit in Hamburg zu Ende. Am folgenden Nachmittag würde sie fliegen, zu Dean und zu ihren Kindern, denen sie erzählen wollte, dass ihre Tante Lilly tatsächlich ihre Tante war, eine Tante zweiten Grades genaugenommen, aber immerhin.
    »Na, wie sieht es aus in Hamburg?«
    Gabriel. Ein Lächeln huschte über Lillys Gesicht.
    »Recht gut. Und in
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