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Der Mondscheingarten

Der Mondscheingarten

Titel: Der Mondscheingarten
Autoren: Corina Bomann
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überrascht an. Miriam Pauly. Den Namen hatte Lilly schon lange nicht mehr gehört. Eigentlich verband sie damit auch nicht wirklich eine Person. Doch sie kannte ihn natürlich, auch wenn er nur ein Schatten war. Ein Schatten, der untrennbar mit ihrer Freundin Ellen verbunden war.
    Als sie zur Seite blickte, sah sie, dass Ellens Augen verräterisch glitzerten. Sie verband mit dem Namens Pauly viel mehr. Immerhin war das ihr Mädchenname, denn ihre Pflegeeltern hatten sie nicht adoptiert. Und Miriam … Miriam war ihre Mutter. Ihre Mutter, die vor so langer Zeit so jung verunglückt war. Miriam Pauly und Jennifer Paulsen.
    Im nächsten Augenblick durchschoss es Lilly wie ein Pfeil. Wenn ihre Mutter und Ellens Mutter Schwestern waren, dann waren sie …
    Cousinen! Das konnte doch nicht wahr sein!
    »Vor langer Zeit wollte ich Miriam aufsuchen, um ihr die Geige zu geben, die ich all die Jahre im Haus meiner Mutter gelassen hatte«, fuhr Hinrichs fort. »Keine Ahnung, warum das Mädchen sie nicht mitgenommen hatte. In Deutschland erfuhr ich, dass Miriam kurz vorher bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Also wandte ich mich an das zweite Kind, Jennifer, die mittlerweile ebenfalls verheiratet war. Ich erzählte von ihrer Schwester, worauf sie ziemlich überrascht wirkte. Sie wies mich ab mit der Begründung, dass sie keine Schwester habe und alles nur ein Irrtum sei. Verständlich, sie war bei dem Schiffsunglück ja erst zwei gewesen, und ihre Adoptiveltern hatten ihr offenbar nie von ihrer Schwester erzählt. Ich schrieb ihr dennoch einen Brief und versuchte, all das, was ich wusste, darzulegen, aber es kam nie eine Antwort. Da wusste ich, dass ich es bei ihr nicht zu versuchen brauchte. Als ich sie schließlich weggeben wollte, entdeckte ich im Futter das Notenblatt. Und beschloss, es erneut zu versuchen – bei Ihnen, Frau Kaiser.«
    Schweigen folgte seinen Worten. Jeder von ihnen schien mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt zu sein.
    »Bitte sagen Sie mir noch eines«, begann Lilly schließlich. »Warum sind Sie einfach so verschwunden, nachdem Sie mir die Geige gebracht haben? Sie hätten mir die Geschichte doch gleich erzählen können!«
    »Der Mensch lernt aus seinen Erfahrungen«, erklärte der Mann mit einem verschmitzten Lächeln, nachdem er einen Schluck Tee getrunken hatte. »Ich wollte mich nicht noch länger mit der Geige abgeben. Und ich wollte auch nicht, dass Sie sie mir wieder zurückgeben, nachdem ich so viel Mühe hatte, Sie zu finden. Also habe ich die Biege gemacht. Ich hoffe, Sie sehen es mir nach.«
    Da sie nach dem Gespräch mit Hinrichs nicht gleich wieder nach Hause fahren wollten, spazierten Lilly und Ellen noch eine Weile an der Alster entlang. Zunächst schweigend, dann begann Lilly: »Warum haben unsere Mütter nie Kontakt miteinander aufgenommen?«
    »Jennifer, deine Mutter, war damals noch sehr klein, wahrscheinlich erinnerte sie sich nicht mehr an ihre Schwester. Und Miriam …«
    Ellen runzelte die Stirn. Einen Moment kaute sie auf ihrer Unterlippe herum, dann sagte sie: »Vielleicht hat es den Versuch, Kontakt zu ihrer Schwester aufzunehmen, gegeben.«
    »Meinst du?«
    »Deine Mutter und meine Mutter sind doch adoptiert worden, richtig?«
    »Ja.«
    »Vielleicht haben unsere Adoptivgroßmütter versucht, den Kontakt zwischen ihnen zu unterbinden.«
    »Worauf willst du hinaus? Meine Mutter war erst zwei, die wird sich nicht mehr an ihre Schwester erinnert haben«, wandte Lilly ein.
    »Aber meine Mutter müsste das doch eigentlich getan haben, oder? Ich frage mich, ob sie je den Versuch unternommen hat, nach ihrer Schwester zu suchen.«
    »Wer weiß, was ihre Adoptiveltern ihr erzählt haben. Und ein Kind kann sich unmöglich auf die Suche nach seiner Schwester machen, die Behörden würden ihm keine Auskunft erteilen.« Lilly zuckte ratlos mit den Schultern. »Am besten, wir fahren morgen noch einmal zu meiner Mutter und fragen sie. Wenn uns jemand diese letzte Frage beantworten kann, dann sie.«
    Tags darauf am Krankenbett ihrer Mutter versuchte Lilly, die Geschichte so ruhig wie möglich zu schildern, obwohl die Fragen in ihr brodelten. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass Ellen und sie Cousinen waren.
    Jennifer faltete ihre Hände auf der Bettdecke und hörte schweigend zu, wie abwechselnd Lilly und Ellen die Geschichte der beiden unglücklichen Frauen vor ihr auffächerten.
    Als sie fertig waren, schwebte das Schweigen minutenlang über ihren Köpfen. Jede von ihnen war in
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