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Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord
Autoren: Jacques Berndorf
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loszubrüllen und sie möglicherweise sogar zu schlagen. Aber dann kam ihm die Idee, es mit dem zu versuchen, was er bei sich die »Kumpelmanier« nannte. Er zog seine Zigaretten aus der Tasche und fragte: »Rauchst du?«
    »Ja«, sagte sie. Sie zeigte sich nicht erstaunt oder gar dankbar.
    Horstmann gab ihr Feuer. Sie rauchte, ohne zu husten und sah ihn von Zeit zu Zeit an, als wolle sie sagen: »Na, los doch. Versuch es doch!«
    »Ich habe nicht viel Zeit, mich um dich zu kümmern«, sagte Horstmann. »Das tut mir leid.«
    »Es tut dir nicht leid«, sagte das Mädchen. Sie sagte es, als sei es eigentlich nicht wert, auf seine Worte zu antworten. Sie hatte etwas festgestellt.
    »Es tut mir wirklich leid«, sagte Horstmann. Jetzt tat es ihm wirklich leid. Sie war sein Kind, er hatte sie gezeugt, aber sie war unendlich weit fort. Horstmann zündete sich eine Zigarette an. Er sagte: »Sieh mal, es ist verdammt schwer, beruflich auf der Höhe zu bleiben und sich gleichzeitig voll und ganz auf eine Familie zu konzentrieren.«
    Sie drückte die Zigarette in einer flachen Glasschale aus. Sie sagte gar nichts.
    Horstmann ging sehr langsam quer durch den weißgekalkten Raum. Er dachte wieder, dass sie genau so war, wie die langhaarigen Mädchen, denen er nachsah und von denen er träumte. Vielleicht war sie ein wenig jünger, vielleicht auch nicht, er wusste es nicht. Aber er erschrak: Es konnte sein, dass sie nicht jünger war.
    »Kann ich jetzt gehen?«
    »Nicht doch, nicht doch«, sagte er. »Ich will endlich einmal sprechen.« Er kam in der Diagonalen durch den Raum zurück und lehnte sich an den Tisch.
    »Ich mache mir manchmal Sorgen«, sagte Horstmann. Er hatte einen Augenblick lang das Bedürfnis, mit diesem Mädchen einige seiner Probleme zu betasten, aber das unterdrückte er schnell. Er sagte nur: »Vielleicht wäre es besser, ein einfacher Mensch zu sein. Irgend so etwas wie Kaminkehrer oder Korbflechter.«
    »Damit erledigt sich kein Problem«, sagte sie. »Und du weißt das doch. Was willst du mit mir sprechen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Horstmann, »es ist schwer zu definieren. Glaubst du, dass ich dich ganz objektiv sehen kann?«
    »Das kannst du«, sagte sie, »du kannst es sogar sicherlich. Hast du noch eine Zigarette?«
    Horstmann gab ihr eine Zigarette, nachdem er sie angezündet hatte. Er erinnerte sich dumpf, dass er früher seiner Frau jede Zigarette angezündet hatte. In den ersten Monaten.
    »Warum glaubst du, dass ich dich objektiv sehen kann?«
    »Es ist die Art, wie du deine Frau ansiehst«, sagte das Mädchen. »Was sind das für Würmer da?«
    »Irgendwelche Schädlinge«, sagte er. »Wie sehe ich Mutter an?«
    »Objektiv«, sagte sie. »Und manchmal ist auch Mitleid dabei. Ist das richtig?«
    Horstmann wusste genau, dass sie Maria nichts berichten würde, also konnte er riskieren, ihr die Wahrheit zu sagen. Er murmelte: »Du hast Recht.«
    Das Mädchen stand auf und holte aus der Ecke einen von den Kiefernzweigen. Sie legte ihn neben den Ball der Würmer, weil sie sofort den Zusammenhang begriffen hatte.
    Sie standen nebeneinander und sahen zu, wie der Ball der Würmer Signale bekam und sich auflöste. Die Tiere griffen den Kiefernzweig an wie einen Feind.
    »Sie sind eklig«, sagte das Mädchen.
    »Na ja«, sagte Horstmann. »Ich muss einen Stoff finden, der sie tötet. Ich bin wohl kein guter Vater, oder?«
    »Hast du etwas getrunken?«, fragte das Mädchen.
    »Etwas«, sagte Horstmann, »aber ich bin nicht betrunken, wenn du das meinst.«
    Das Mädchen nahm ein Skalpell und trennte einen der Würmer in der Mitte durch. »Ist es wie bei Blindschleichen oder ähnlichem Viehzeug, dass beide Hälften lange weiterzucken?«
    »Nein«, sagte Horstmann. »Diese Würmer haben eine Zentralzelle am Kopfende unterhalb der Zangen. Was denkst du von mir?«
    »Nicht sehr viel«, sagte das Mädchen. »Ich meine, ich denke nicht sehr viel über dich nach. Deine Ehe latscht so dahin wie irgendein Paar Filzpantoffeln über einen Krankenhausgang.« Sie machte ein paar hastige Züge, und sie war jetzt ein wenig aufgeregt. »Ich will dich nicht beleidigen, aber so sieht es aus.«
    »Ich weiß«, sagte Horstmann. »Hol uns irgendetwas zu trinken herunter, ja? Ich möchte wirklich mit dir reden.«
    Jetzt war das Mädchen erstaunt. Es sagte: »So was Verrücktes von Vater.«
    »Na ja«, sagte Horstmann matt. Er sah ihr nach, wie sie zur Türe ging und dann die Treppe hinauf verschwand. Ich bin verrückt, dachte
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