Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord
Autoren: Jacques Berndorf
Vom Netzwerk:
von Dingen Erfahrung besaß, von denen er keine hatte, undMaria auch nicht. Aber Maria war nicht lauthals, nervös oder wütend betrübt. Sie lätscherte so daher. Sie war wie jene engelsreinen Figuren christlicher Mystik voll Sanftmut und Demut. Sie hatte etwas von Jesus Christus, dem lieblichen, reinen Knäblein, an das Horstmann nie geglaubt hatte. Sie war zum Kotzen defensiv, das war es.
    »Ist sie eigentlich noch Jungfrau?«, fragte er aggressiv. Er stellte diese Frage in den letzten Monaten bei jeder Gelegenheit, denn seine Tochter Sabine war eine von diesen: langhaarig, ein bisschen gelangweilt, mit sehr langen Beinen und einem sicheren Instinkt, sich vollkommen abzukapseln. Dass er keinerlei Verbindung zu ihr hatte, nicht mit ihr in irgendwelchen Cafés der Stadt protzen konnte, erfüllte ihn mit einer Bitterkeit, die er sich nie eingestand.
    »Ich weiß es nicht«, sagte seine Frau. Das klang sehr mutlos, weil sie es wahrscheinlich tatsächlich nicht wusste. »Es kann sein, dass sie etwas Erfahrung hat, aber vielleicht ist sie noch unberührt.«
    »Unberührt«, sagte er, »hah!« Sieh dir die Würmchen an! Wie sie fressen!«
    »Sie fressen enorm«, sagte seine Frau.
    »Wie diese Zeit alles frisst«, sagte er großspurig. »Sitte, Moral, Anstand und so weiter.«
    »Willst du ein Bier zum Essen?«
    »Kein Bier«, sagte er, »ich will keinen Bauch.« Er überlegte, wie er an hunderttausend Mark kommen könnte. Hunderttausend Mark waren sein Ziel. Er hatte diese Summe ganz willkürlich angesetzt, ebensogut hätte er zehntausend oder eine Million denken können. Er hatte schon seit Monaten einen bestimmten Plan, von dem er allerdings nicht wusste, ob er ausführbar war. Aber nun waren da die Würmer in seinem Keller, die rosaroten vollgefressenen Würmchen. DerPlan zeichnete sich jetzt deutlicher ab. »Ruf die Ockers an. Wir wollen Canasta spielen.«
    »Ja«, sagte Maria. Sie drehte sich herum und ging die Treppe hinauf. Sie dachte dumpf: Er ist intelligent. Aber ich weiß nicht, ob er auch klug ist. Warum hat er zwanzig Jahre lang versäumt, mir etwas beizubringen? Warum hat er mir nicht seine Art beigebracht, frei zu sein? Warum hat er mich immer nur schnell benutzt und nie mit mir gespielt? Sein Leben ist etwas ganz anderes als mein Leben. Lieber Gott im Himmel, ich bin zu müde, um zu schreien, ich bin einfach zu müde. Warum gibt er mir denn nicht die Chance, in sein Leben zu treten? Natürlich, meine Haare sind ein wenig grau und manchmal etwas stumpf. Auch meine Haut ist nicht mehr so, wie sie sein sollte. Von den Knien an bis hoch zum Hintern ist mein Fleisch nicht mehr fest. Es wabbelt ein bisschen. Aber hätte ich eine Masseuse bezahlen können? Ich hätte nicht einmal daran gedacht. Und schminken? Ich kann mich nicht schminken. Ich kann Kinder kriegen, spülen, staubsaugen und mir dauernd die Fingernägel abbrechen. Aber ich kann mich nicht schminken.

3. Kapitel
    Die Ockers kamen gegen neun Uhr abends, als es nicht mehr so heiß war. Sie setzten sich auf die kleine Terrasse und begannen zu spielen. Sie spielten Paar gegen Paar, der jeweilige Gewinn kam in ein Sparschwein. Einmal im Jahr war dieses Schwein voll. Dann machten sie zusammen eine lange Wochenendtour, tranken viel und versicherten sich gegenseitig, wie prächtig das alles sei. Das nannten sie ihren Betriebsausflug. Horstmann hatte es hassen gelernt, und auch Maria mochte es nicht. Aber den Ockers gefiel das, sie waren seicht genug, um von so etwas befriedigt zu sein.
    Horstmann spielte nicht sehr konzentriert und wechselte die Tricks schnell und ganz nach eigenem Ermessen, so dass seine Frau ihm nicht mehr folgen konnte. Sie verloren den ganzen Abend über, und Horstmann beobachtete mit einiger Genugtuung, wie das Spiel immer mehr an Spannung verlor und schließlich abflachte wie der Strahl aus einem Wasserhahn, den man langsam zudreht. Er benutzte immer den Trick des systemlosen Spiels, um einen Abend möglichst schnell zu töten. Um elf Uhr sagte er: »Ich höre auf, Kinder. Immer verlieren macht kein Vergnügen. Und außerdem habe ich einen Versuch laufen.«
    Ocker war reichlich betrunken, seine Frau ebenso. Sie lachten beide, waren vulgär, machten anzügliche Bemerkungen auch dann, wenn es gar keinen Anlass gab. »Ich denke, ihr wollt in die Heia«, sagte Ocker glucksend.
    »Ich kann das nicht, Schnaps macht mich impotent.«
    So redeten sie, und Maria wurde ein wenig verlegen, und Horstmann war wütend. Er sagte: »Ich habe wirklich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher