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Der Monat vor dem Mord

Der Monat vor dem Mord

Titel: Der Monat vor dem Mord
Autoren: Jacques Berndorf
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doch so etwas nicht sagen. Immer hast du etwas gegen dich selbst.«
    »Ich bin nicht ich selbst«, sagte sie. Er wollte es nicht verstehen, oder er verstand es wirklich nicht. Vielleicht waren zwanzig Jahre Ehe einfach zu viel, vielleicht zerstörte die Zeit mehr, als man wahrnahm. So hielt sich nur noch die Fassade krampfhaft aufrecht, und dahinter war nichts mehr. Sie dachte, dass in früheren Jahren – und das war eine Ewigkeit her – sich alle mit wilden und wütenden Diskussionen gefüllten Stunden, in freundliche, sanft schaukelnde Wolken aufgelöst hatten. Weil er sie einfach nahm. Früher. Vor einer Ewigkeit.
    »Schlaf gut«, sagte sie. »Du musst früh aufstehen.«

4. Kapitel
    Es war schon hell, als Horstmann erwachte und ganz mechanisch auf den Wecker sah. Es war fünf. Irgend etwas hatte ihn geweckt. Er wollte zornig werden. Er besaß die Gabe, sich mit wenigen ordinären Gedanken in Zorn hineinzusteigern. Dann hörte er die Schritte. Es war Harald. Harald sang ein Lied.
    »Er ist betrunken, glaube ich«, sagte Maria.
    »Möglich«, sagte Horstmann. »Ich werde ihn auf sein Zimmer bringen.« Er ging hinaus und sah hinten in den schmalen Flur. Dort stand sein Sohn vor dem Spiegel und kämmte sich das Haar mit sehr sanften Bewegungen. Er sang dazu irgendeinen Schlager.
    »Du bist betrunken«, sagte Horstmann.
    Der Junge sah hoch und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. Und er schwankte nicht einmal, als er die Treppe hinaufkam. »Wir haben ziemlich lange in einer Bude gehockt«, sagte er. »Ich bin müde.« Er machte einen heiteren Eindruck.
    »Dann mach doch nicht solchen Lärm«, sagte Horstmann vorwurfsvoll. »Ich brauche meine acht Stunden Schlaf.«
    »Ich nicht«, sagte der Junge. Er benahm sich eigenartig, er ging tänzelnd, schwang die Arme mit jenen lächerlichen Bewegungen, mit denen Frauen in Gruppen Gymnastik treiben.
    »Irgend etwas stimmt doch nicht«, sagte Horstmann.
    »Was soll nicht stimmen?«, fragte sein Sohn. »Wir haben ein bisschen Hasch geraucht und so. Es war ganz nett.«
    »Rauschgift«, sagte Horstmann scharf, als habe er ganz allein diese Entdeckung gemacht.
    »Na ja, wenn du es so nennst.« Der Junge sang wieder und ließ die Tür seines Zimmers hinter sich zufallen.
    Horstmann holte sich aus dem Schlafzimmer seine Zigaretten. Er sagte: »Harald hat Haschisch geraucht.«
    »Es riecht immer so süßlich in seinem Zimmer«, sagte Maria. »Vielleicht geht es vorüber.«
    »Ich spreche mit ihm«, sagte Horstmann schnell. »Ich werde ihm die Flötentöne beibringen.« Sabine war keine Jungfrau mehr, Harald rauchte Hasch, Maria fühlte sich selbst im Bett fade. Das musste bekämpft werden. Worin bestand schon ein großer Unterschied zwischen Würmern im Keller und dieser Familie? Seiner Familie. Aber warum sollte er es bekämpfen! Es war besser, sich zurückzuziehen. Man müsste die Familie loswerden, das war das Problem.
    Horstmann sah den Jungen auf seinem Bett liegen. Es roch tatsächlich süßlich. Er überlegte, wie lange er nicht mehr im Zimmer seines Sohnes gewesen war. Vielleicht war es ein Jahr her, vielleicht zwei oder drei? »Ist das eine solche Zigarette?«
    »Ja«, sagte der Junge. »Willst du eine?«
    »Nein. Wirf das Zeug aus dem Fenster!«
    »Sie sind teuer«, sagte der Junge vorwurfsvoll. Eine schmale Rauchfahne stand sehr steil auf seinem Gesicht. Er träumte, und er zeigte keinen Respekt.
    Und weil bei Sabine die »Kumpelmanier« so gut funktioniert hatte, murmelte Horstmann: »Musst du das Zeug rauchen?«
    »Nein«, sagte der Junge, »aber es macht Spaß.«
    »Aber wieso?«
    »Mann kann so gut stiften gehen«, sagte der Junge. »Ich höre immer Beethoven oder Bach. Aber meistens Bach.«
    »Das ist Unsinn!«
    »Aber nein.« Der Junge lachte weich. »Das ist doch kein Unsinn, Freund!« Er sang: »Sing, sing a song of joy ...«
    »Ich möchte mit dir sprechen«, sagte Horstmann.
    »Das kannst du doch«, sagte der Junge. »Nur, man kann so schlecht zuhören, wenn man das Zeug pafft. Aber versuchen kann ich’s ja.«
    »Versuch es«, sagte Horstmann gutmütig. »Hast du irgendwelche Probleme?«
    Der Junge wälzte sich zur Seite und sah ihn an. Dann stand er auf, ging an das Waschbecken, neigte seinen Kopf mit den langen Haaren darüber und ließ sich kaltes Wasser über den Schädel laufen. »Ich habe keine Probleme«, sagte er. »Wirklich nicht.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Horstmann. Er glaubte es wirklich nicht. Zwar war er kein Spezialist für
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