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Der Mörder aus einer anderen Zeit

Der Mörder aus einer anderen Zeit

Titel: Der Mörder aus einer anderen Zeit
Autoren: Stefan Wolf
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Sohlen erneuert und schiefe Absätze begradigt — unberührt
davon, dass zehn Schritte entfernt die italienische Schuhboutique »Enzo scarpe
e pantofole« Kunden anzieht wie ein Kuhfladen die Fliegen.
    Und an der Ecke gibt es den
Uhrmacher Leopold Odenhafer.
    TKKG kannten Reginas Großvater
und mochten ihn sehr, einen gemütlichen Endfünfziger mit Sitzberuf-Bauch und
dicken Brillengläsern. Durch die sah er seine verweinte Enkelin fassungslos an.
    »Regina, wie siehst du denn
aus? Ist das jetzt modern?«
    Das Mädchen schluckte. »Nein,
Opi. Damit hat es nichts zu tun.«
    Es war kein Kunde im Laden —
abgesehen von Gaby, die aber ihr Anliegen erst mal zurückstellte. Regina konnte
berichten.
    Dabei fiel Tim auf, dass Opa
Leo — wie er genannt wurde — noch blasser wurde, als er heute ohnehin schon
war. Ja, eindeutig!, dachte Tim. Der Opa sieht gestresst aus. Mutlos und elend.
Und so sah er schon aus, als wir reinkamen. Auf all den tollen Uhren hier, die
er verkauft, lastet eine Stimmung von Trostlosigkeit. Aber vielleicht liegt es
daran, dass etliche aufgezogen sind. Sie ticken, sie messen die Zeit und —
zeigen, wie schnell die vergeht.
    Als Regina fertig war mit ihrem
Bericht, herrschte Stille in dem schmalen Raum.
    Opa Leo lehnte an einem
gläsernen Verkaufstresen, hatte die rechte Hand gehoben und strich über seine
linke Brustseite, als schmerze sein Herz.
    Er hat wirklich Beschwerden,
dachte Tim.
    »Opi, ich... ich will dir nicht
noch zusätzlich Kummer machen«, sagte Regina verzagt.
    Er schüttelte den Kopf.
»Schlimm ist das, Kind! Schlimm! Diese Menschen! Wir müssen Anzeige erstatten.«
    »Aber gegen wen? Ich kenne sie
nicht. Ich kann sie beschreiben. Bringt das was?«
    »Klar doch!«, schaltete Gaby
sich ein. »Anzeige gegen unbekannt. Du gehst nachher ins Präsidium. Am besten
gleich zu meinem Papi. Aber vorher bringen wir dich zum Frisör. Zu Mario
Parrucchiere. Der schneidet dich saisonfein.«
    Regina nickte.
    »Geht es Ihnen nicht gut, Opa
Leo?«, fragte Tim.
    Der Uhrmacher lächelte
freudlos. »In manchen Zeiten, Tim, kommt es knüppeldick. Da möchte man sich am
liebsten im Keller verkriechen und abwarten. Ihr wisst ja sicherlich, dass mein
Sohn Hugo«, gemeint war Reginas Vater, »seinen Beruf aufgeben muss wegen
Herzschwäche. Und Frührentner wird. Dabei ist er mit Leidenschaft Koch. Und er
ist ein sehr guter. Hat nur in den besten Restaurants gearbeitet.«
    TKKG wussten Bescheid. Aber
niemandem fiel was Tröstendes ein.
    Bis Klößchen dann sagte: »Für
die Familie zu kochen, ist ja auch ganz super. Vielleicht lädt uns Regina öfter
mal ein.«
    »Mache ich!«, nickte das
Mädchen.
    Tim, der ein angeborenes Gespür
besitzt für die Leichen im Keller, fasste nach.
    »Aber das ist noch nicht alles,
nicht wahr?«
    Der Uhrmacher nickte betrübt.
»Kannst du Gedanken lesen, Tim? Ja, bei mir geht’s ans Eingemachte. Ich kämpfe
als ein winziger David gegen den übermächtigen Goliath — und werde verlieren.«
    »Worum geht es?«
    »Um diesen Laden. Ich bin hier
seit 32 Jahren. Jede Mieterhöhung habe ich mitgemacht. Ganz früher war’s hier
eine normale Gegend. Dann wurde es eine feine Gegend. Dann eine Nobel-Gegend.
Jetzt gilt der Grapsbach-Block als eins der schicksten Geschäftszentren in
Europa: die goldene Burg. Und die Grapsbach GmbH hat mir gekündigt. Zum 1.
September muss ich raus. Wahrscheinlich will hier eine Multimedia-Firma rein.«

    »Opi, das weiß ich ja noch gar
nicht.« Regina war entsetzt.
    »Ist ein Adressenwechsel so
schlimm?«, fragte Karl. »Es gibt doch genug leere Läden überall in der Stadt.«
    »Aber nur dort, Karl, wo man
schnell Pleite macht. Meine Stammkunden von früher — die gibt es nicht mehr.
Ich bin auf betuchte Laufkundschaft angewiesen. Und die kommt hier vorbei. Am
G-Block.«
    »Haben Sie denn keinen
Mietvertrag?«, forschte Tim.
    »Doch. Natürlich. Sogar bis
2008. Dann wollte ich ohnehin in den Ruhestand gehen.«
    »Wo ist das Problem? Man kann
Sie nicht rauswerfen.«
    »Das nicht. Aber man kann mir
die Luft abdrehen. Und das tun die.«
    »Durch Mieterhöhung?«
    »Richtig. Leider bin ich
dagegen in meinem Vertrag nicht abgesichert. Die Forderung, die mir gestellt
wird — falls ich nicht freiwillig rausgehe — , ist unerhört. Ist tödlich. Ich
würde nicht nur umsonst arbeiten. Ich müsste für die Miete sogar noch
drauflegen — von meinen Ersparnissen.«
    »Brutal!«, meinte Klößchen.
    »Die Grapsbach GmbH«, fragte
Tim, »wen vertritt diese
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