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Der Mörder aus einer anderen Zeit

Der Mörder aus einer anderen Zeit

Titel: Der Mörder aus einer anderen Zeit
Autoren: Stefan Wolf
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1. Überfall auf Regina
     
    Regina bemerkte die Verfolger
erst, als es zu spät war. Die beiden waren Profis trotz ihrer Jugend von kaum
20 Jahren. Beide sahen knallhart aus, die geborenen Schläger.
    Es war der Freitag vor
Pfingsten, früher Nachmittag. Regina Odenhafer, 15, eilte Richtung Innenstadt,
befand sich aber noch im Gerbroder-Viertel, wo die Gassen kragen-eng sind und
die Straßen mit Rüttelschwellen und Kopfsteinpflaster gegen die Autoflut
ankämpfen.
    Schwüle Hitze, dunstiger
Himmel. Die Städter bewegten sich träge. Hunde hechelten, Eisverkäufer
erzielten Rekordumsätze.
    Die Flutwellen-Gasse ist leicht
abschüssig. Und so eng, dass von keiner Seite Sonnenstrahlen Einlass finden.
Die feuchten Mauern der uralten Häuser riechen nach Salpeter und Schimmel. Es
gibt schulterbreite Durchgänge zu Hinterhöfen.
    Hinter einer dieser Ecken
lauerten Simon und Nocke. Sie hatten Regina seit einer halben Stunde verfolgt —
unbemerkt, wie gesagt, hatten zupacken wollen, sich aber zurückgehalten wegen
Passanten, wegen unerwünschter Zeugen. Jetzt hatten Simon und Nocke das Mädchen
überholt und den Hinterhalt vorbereitet.
    In der Flutwellen-Gasse war
kein Mensch — außer Regina. Sie trug Turnschuhe, die das Tapp-Tapp ihrer
Schritte fast lautlos machten. Hier in der Flutwellen-Stille waren sie
allerdings zu hören. Außerdem knirschte die rechte Sohle etwas.
    Regina wollte an dem Durchgang
vorbeieilen. Aber Simon trat hervor und verbaute ihr den Weg. Sie prallte gegen
ihn, quietschte erschreckt und hätte sich empört. Doch dazu kam’s nicht mehr,
denn Nocke war hinter ihr.
    Seine Schaufelblatt-Flossen
umklammerten ihre Oberarme. Er hätte sie brechen können. Gleichzeitig drückte
ihr Simon eine Hand auf den Mund. Seine Finger rochen noch nach dem
Heringsbrötchen, das er sich vorhin reingezogen hatte: saurer Hering mit
Zwiebelringen und einem Salatblatt.
    »Wenn du schreist, bist du
alle.«
    Nocke sagte das, schräg von
hinten. Auch er hatte Fisch gegessen, beugte sich etwas vor — und sie roch
seinen Atem, der die Erinnerung wach hielt an tote Meeresbewohner.
    Mit einem Ruck, dass sie
stolperte und fast ihre Turnschuhe verloren hätte, wurde Regina in den Durchgang
gerissen.
    Zu dritt hatten sie dort kaum
Platz. Denn Simon folgte, eisern die Hand auf ihrem Mund.
    Fensterlose Hauswände,
fünfstöckig, alt, grau und schuppig. Wer hier ein Bike durchschob, musste sich
quetschen. Hunde hatten ihre Reviere an den Wänden markiert.
    Alles ging blitzschnell. Die
Situation war jetzt kaum drei Atemzüge alt. Gedanken — Horrorgedanken fetzten
Regina durch den Kopf. Das war kein Raubüberfall. Sie sah nicht aus wie eine
Geldquelle. Nichts Wertvolles an ihr — die Uhr Plastik, obwohl sie auch eine
sehr feine, sehr teure besaß.
    Was wollen die?
    Simon, der vor ihr stand, war
ein Typ zum Erbrechen.
    »Nicht schreien!«, gebot er.
    Sie nickte gegen seine Hand.
Endlich nahm er die Heringsfinger weg.
    Aber der andere ließ nicht los.
Seine Fingerkuppen gruben sich in die Oberarme. Sie wusste schon, wie die
blauen Flecken aussehen würden auf ihrer zarten Haut.
    Regina war ein schlankes,
ziemlich großes Mädchen mit langem kirschrotem Haar. Sie trug es offen —
meistens mit Mittelscheitel. Sie war Schülerin der Klasse 9b in der berühmten
Internatsschule — eine Externe, Fahrschülerin also. In den meisten
Unterrichtsstunden saß sie rechts neben Gaby. Den Platz links würde Tim ja
verteidigen wie ein Königstiger — falls jemand den lächerlichen Einfall hätte,
sich dort niederzulassen. Regina war ein klasse Mädchen mit vielen
Geh-Anträgen.
    Jetzt stand blanke Angst in
ihren braunen Rehaugen.
    Das schien Simon zu gefallen.
Er grinste. Auch Nocke, hinter ihr, grunzte einen amüsierten Häh-Laut mit
Fischgeruch.
    Simon — zirka 19, klotzig, mit
Bürstenschnitt, Schweinsnacken und flacher Nase — trug rechts zwei Ohrringe,
silbrig und golden, links einen kupferfarbenen. Er trug Jeans mit Löchern und
Rissen, Schnürstiefel und eine militärische Tarnjacke, die ihm etwas zu eng
war. Trotzdem hatte er den Reißverschluss geschlossen und schwitzte sicherlich
höllisch.
    Nocke trug die gleiche Uniform,
war noch größer und sehr knochig. Eine frische Wunde spaltete den linken
Mundwinkel waagerecht. Auf ein Bussi war das nicht zurückzuführen, eher auf
eine Faust mit Schlagring Die Haare waren mittellang, unten herum braun, oben
herum gelb wie ein Postauto. Diese gelbe Platte saß wie ein Deckel auf dem
etwas
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