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Der Mörder aus einer anderen Zeit

Der Mörder aus einer anderen Zeit

Titel: Der Mörder aus einer anderen Zeit
Autoren: Stefan Wolf
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Feindschaften von selbst aus. Vor allem bei dem
schwülen Wetter.«
    »Schwüle nährt Bösartigkeit,
habe ich mal gelesen.« Sie übergab ihm die Zeitkapsel. »Außerdem macht Schwüle
Mädchen matt. Du darfst tragen.«
    »Dich auch? Oder nur dieses
Ding?«
    »Übernimm dich nicht!«
    »Ph, Fräulein Glockner. Ihre 55
Kilo stecke ich mir doch leicht hinters Ohr.«
    Gaby lächelte. Aber sie war
beunruhigt. Als hätte der Schutthalden-Typ sie mit gehässigem Blick angebeamt.
Im Allgemeinen erntet Gaby nur freundliche Blicke — jedenfalls vom anderen
Geschlecht jeglichen Alters. Erst kürzlich in der Fußgängerzone Unteranger
hatte ein sehr alter Gentleman mit schlohweißem Haar die kleine Nelke aus dem
Knopfloch seines Blazers gezupft und Gaby überreicht — mit den Worten: »Eine
Urenkelin wie Sie, schönes Fräulein, die hätte ich mir gewünscht. Stattdessen
habe ich einen Urenkel. Und der... na, hoffentlich kennen Sie ihn nicht.«
    Das Pärchen setzte den Weg
fort. Innenstadt. Zum Dom.
    Tim hatte unterwegs eine fast
ungelesene Zeitung aus einem Abfallkorb gefischt und die Zeitkapsel sauber
eingewickelt.
    »Besser so!«, meinte er.
»Obschon sonst nie — aber ausgerechnet dann begegnet man dem Stadtkonservator,
dem Heimatpfleger oder sonst wie Kulturbeflissenen aus dem Magistrat. Wäre
ungut, wenn einer plötzlich losschreit: Da haben wir ja endlich die Zeitkapsel
aus der Fürst-Bismarck-Penne.«
    »Ist doch eigentlich
erstaunlich, Tim, dass beim Abriss niemand danach gesucht hat. Sicherlich — 102
Jahre sind vergangen. Sie ist aus dem vorvorigen Jahrhundert. Aber es hätte
doch jemand wissen müssen, dass damals solche Einmauerungs-Späße üblich waren.
So, wie man heutzutage Zeitkapseln mit intergalaktischen Raketen in den
Weltraum schickt. Damit sich am Rande des Weltalls hoch entwickelte
Lebensformen über uns kaputt lachen.«
    Tim nickte. »Der Horror aus
einer einzigen Tageszeitung genügt. Aktuelle Nachrichten vom Blauen Planeten —
damit kriegen wir dort draußen keinen Fuß auf den Boden. Blamiert wären wir für
alle Zeit. Wenn’s im Weltall irgendwo eine Planeten-Gemeinschaft gibt — wie bei
uns die Europäische Union: Die Mitgliedschaft könnten wir uns abschminken. Tja,
Pfote, und um unsere Zeitkapsel hat sich kein offizieller Amtsinhaber
gekümmert. Wahrscheinlich existieren keine Akten mehr von 1898.«
    »Akten sind langweilig. Außer
den Kriminalakten. Fällt dir ein tolles Buch ein, das 1898 geschrieben wurde?«
    »Nee. Dir?«
    »Stromausfall. Null Erinnerung.
Vielleicht gab’s keine Neuerscheinung.«
    »Aber ich weiß, dass ein Jahr
zuvor die ersten Comic Strips in einer amerikanischen Zeitung veröffentlicht
wurden. Die Katzenjammer-Kids.«
    »Kenne ich.«
    Karl und Klößchen warteten an
der Westseite vor dem so genannten »Kleinen Portal«. Und bei ihnen stand
Regina.
    »Tim!«, flüsterte Gaby
entgeistert, als sie sich näherten. »Regina hat sich die Haare abgeschnitten. O
Gott! Hätte sie mich das doch machen lassen. Sieht ja grässlich aus!«
    »Pfote, Regina hat geheult! Da
ist was passiert.«

4. Kleiner
Laden in der goldenen Burg
     
    Auf der Ostseite des Doms steht
der Grapsbach-Block: ein Markstein der Innenstadt, ein architektonisches
Highlight der City, eine Welt für sich, ein Begriff. Der so genannte G-Block
misst an die 300 mal 400 Meter und wird natürlich von vier Prachtstraßen —
Einkaufsstraßen — umgeben. Drei gehören zur Fußgängerzone am Dom, eine ist
verkehrsberuhigt. Dort genügt also schnelles Zur-Seite-Springen, um nicht unter
die Räder zu kommen.
    Der G-Block ist rundherum
fünfstöckig, an einigen Stellen noch aus der Nachkriegszeit, größtenteils aber
neu. Es gibt Innenhöfe mit Galerien, Aufgängen, Brunnen, Freiluft-Cafés und
Biergärten. In den oberen Etagen der nahtlos aneinander gefügten Gebäude haben
renommierte Firmen ihre Nobeladressen angesiedelt. Außerdem residieren und
arbeiten dort Ärzte, Anwälte, Steuerberater, Designer, Betriebs- und
Vermögensberater, zwei Psychologen, eine Agentur für Bodyguards und eine für
Models.
    Im Parterre reiht sich ein
Geschäft ans andere, eine Nobelmarke konkurriert mit der nächsten.
Eingesprenkelt sind kleine Bars, ein sündhaft teurer Frisör, der offenbar jedes
Haar wissenschaftlich und einzeln behandelt, Steh-Futterplätze mit Edelschmaus,
aber auch eine Hand voll ältlicher Läden, sehr kleiner Läden, die irgendwie
nicht mehr ins Bild passen.
    Zum Beispiel gibt es einen
Schuhmacher, der noch
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