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Der Mörder aus einer anderen Zeit

Der Mörder aus einer anderen Zeit

Titel: Der Mörder aus einer anderen Zeit
Autoren: Stefan Wolf
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Haare dran.«
    Er zog eine Schere hervor. Eine
ziemlich große Papierschere. Sie war so neu, dass noch das Preisetikett daran
klebte.
    »Nein! Bitte, nicht!« Regina
erkannte ihre Stimme nicht mehr. »Meine Haare... ich... Es hat vier Jahre
gedauert, bis sie endlich so lang waren. Ich...
    »Hättest du dir vorher
überlegen sollen!«, schnauzte Simon. Nockes Griff wurde zum Schraubstock.
    »Wenn du schreist«, warnte
Simon, »erwische ich vielleicht dein Ohrläppchen — total aus Versehen.«
    Sie zitterte am ganzen Körper
und dachte dabei, wie lächerlich das sei. Es kostete nicht ihr Leben, nicht
ihre Gesundheit. Es war nicht mal eine Verletzung. Aber... sie liebte ihr Haar,
war stolz darauf. Diese Typen verletzten — ihre Seele.
    Simon packte ihre Haare, setzte
die Schere an, schnitt, kam nicht durch, musste nachfassen, musste neu
ansetzen. Sie hörte das Schnittgeräusch. Jedes Haar schien aufzuschreien. Die
Schere klapperte. Jetzt war die andere Seite dran.
    Reginas Haar war sehr lang,
reichte fast bis zum Po. In Halshöhe schnitt Simon es ab — rundum. In seidigen
Wellen fiel es an dem Mädchen hinunter. Eine lange Strähne, glänzend wie
Kupfer, blieb am Saum ihres Sommerrocks hängen.
    »Du solltest Frisör lernen«,
sagte Nocke.
    »Frisöre gibt es nicht mehr«,
knurrte Simon, trat zurück und begutachtete sein Werk. »Heute heißt das
Hairstylist oder wenigstens Coiffeur. Sind aber die Gleichen wie früher.
Scheren die Wolle runter. Und den Weibern drehen sie Löckchen.«
    Nocke ließ Regina los. Sie
taumelte zur Wand und stützte sich dagegen.
    Die beiden Gewalttäter wandten
sich ab, hatten es plötzlich eilig und verschwanden um die Ecke. Für einen
Moment waren ihre Stiefelschritte noch zu hören. Regina schluchzte und fiel in
sich zusammen, buchstäblich. Sie hockte, den Rücken an die raue Mauer gelehnt,
das Gesicht in den Händen verborgen.

    So fanden Karl und Klößchen das
Mädchen, als sie — ihre Bikes schiebend — zwei Minuten später durch die
Flutwellen-Gasse kamen.
     
    *
     
    Vor einem Handy-Shop blieben
Simon und Nocke stehen. Eigentlich nur, weil über dem Schaufenster eine
schattenspendende Markise ausgefahren war. Selbstverständlich verkaufte der
Shop nicht nur Mobiltelefone samt supergünstigen Tarifen zum supergünstigen
Netz — sondern gleichzeitig das erhabene Gefühl, nun mit Handy endlich ein
vollwertiger Mensch zu sein. Dazu die Gewissheit, überall — außer in
Funklöchern — fernsülzen zu können, gleichsam mit jedermann in aller Welt und
sei’s, um nur mal zu fragen »Wie ist denn heute das Wetter bei euch in Tokio?«.
Natürlich kann ein Handy noch viel mehr. Es ermöglicht den Kontakt zu eventuell
vorhandenen Marsmenschen, zum Cyberspace-Menu in fernen Galaxien, zum Internet
sowieso — und die nächste Gerätegeneration wird auch den Rasen mähen und Fifi
Gassi führen.
    Nocke zog sein Mobiltelefon aus
dem Halfter am Gürtel. »Mann, wir haben unseren Job gemacht. Geil, was?«
    Simon nickte. »Total cool.«
    »Ich rufe Jürgen an. Mal sehen,
wie weit der mit der anderen Braut ist.«
    »Ruf ihn an!«
    Nocke wählte und starrte auf
das Display.
    Eine Männerstimme meldete sich.
    »Hey, du Penner! Hier ist
Jürgen Schulken. Was gibt’s, hähäh?«
    »Hör endlich auf, jeden mit
Penner anzureden, der dich anruft«, sagte Nocke. »Könnte ja auch mal der
Bischof sein. Oder ein Minister.«
    »Klar doch! Dann sage ich: Hey,
Sie Penner!«
    »Jedenfalls bist du gut drauf«
    »Nee, eigentlich nicht. Und
ihr?«
    »Die Odenhafer trägt jetzt
Bubikopf. Was ist bei dir los?«
    »Ich beschatte diese Gabriele
Glockner schon seit ner Stunde. Laufe mir die Sohlen dünn. Aber Blondie ist mit
ihrem Macker unterwegs. Jedenfalls tun sie sehr verliebt mit Bussi und so an
jeder Ecke. Da ist jetzt kein Rankommen.«
    »Bist doch sonst nicht so
schüchtern. Wieso stört dich der Typ?«
    »Der sieht ziemlich handfest
aus — so ‘n großer, braunhaariger Typ. Ich meine, der war im Februar in der
Zeitung abgebildet. Hat das Karate-Turnier gewonnen. Oder war’s Judo?«
    »Hm. Und?«
    »Ich bleibe dran. Wird sich
schon ne Gelegenheit finden. Als Beschatter bin ich ja wie... wie ein
Schatten.«
    »Wir halten Kontakt.«
    »Logo.«
    »Dann mach’s gut.«
    Nocke klappte sein Handy
zusammen.
    Simon hatte mitgehört und
verzog seine Schlauchboot-Lippen. »Wenn Jürgen sich allein nicht traut, machen
wir’s zu dritt. Dann sieht der Karate-Typ alt aus. Vielleicht ist der mehr so
ein sportlicher
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