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Der Mörder aus dem Schauerwald

Der Mörder aus dem Schauerwald

Titel: Der Mörder aus dem Schauerwald
Autoren: Stefan Wolf
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„Länger dürfen wir hier
nicht rumstehen. Ob wir Flühter ausliefern oder nicht — versorgen müssen wir
ihn. Sonst haut ihn das Fieber um. Ich mache einen Vorschlag. Flühter soll uns
seine Geschichte erzählen. Dann entscheiden wir. Und zwar durch einfache
Mehrheit. Möglicherweise, Gaby, denkst du anders, wenn er seine Vergangenheit
aufblättert.“
    Sie hob die Achseln im Steppmantel.
Aber ihre Schnute drückte aus: Das TKKG-Mädchen würde bei seiner Meinung
bleiben. Es sei, Flühter entschloß sich zu einer sogenannten Absichtserklärung
— wie das bei den Politikern heißt, wenn ihnen keine andere Lüge mehr einfällt
— zu einer Absichtserklärung über den Mordversuch. Vielleicht würde der
entsprungene Häftling — verwirrt vom Fiebern — erklären, es sei damals seine
Absicht gewesen, das Opfer ins Jenseits zu befördern. Aber — war das dann die
Wahrheit?

6. Flühter erzählt seinen Fall
     
    Tim ging voran.
    Er folgte Flühters Spur.
    Oskar hechelte hinterher, von Gaby an
der Leine geführt.
    Schnee rutschte von den Zweigen.
    Es war still. Nur ein paar Dohlen
stritten hoch oben in den Wipfeln. Und unter den Sohlen knirschte der Schnee.
    Am Weg hatten die Jungs ihre Drahtesel
zurückgelassen.
    Tim trug die Wolldecke unterm Arm.
    Die Dickung war nicht sonderlich dick.
Junge Fichten hielten Abstand zueinander.
    * Tim bog einige Äste beiseite, achtete
darauf, daß sie nicht zurückschnellten, weil sie dann Gaby getroffen hätten.
    Flühters Schlurfspur endete an einer
ausgewachsenen Fichte. Um 15 Meter, etwa, überragte sie die Jungfichten. Sollte
vermutlich aufpassen auf das junge Gemüse.
    Tiefhängende Äste bildeten eine Höhle.
    Flühter saß auf goldenen Fichtennadeln
und lehnte den Rücken an den Stamm. Bis hierher drang der Schnee nicht. Der
Häftling benutzte Gabys Winterjacke als Decke. Tims Mantel würde ihm passen.
Aber Gabys zierliche Figur trug nur Größe 36.

    Tim hockte sich auf die Fersen und sah
dem Mann ins Gesicht.
    Es glühte. Die Augen lagen tief in den
Höhlen. Schweiß lief über die Stirnglatze.
    „Sie haben meine Freundin und Oskar
gerettet. Danke!“
    Flühter nickte. Er atmete schwer.
    „Du bist Tim?“
    „Und das sind Willi und Karl. Können
Sie aufstehen?“
    „Laß mich noch einen Moment hier sitzen.
Mir... zittern die Beine.“
    „Ziehen Sie erst mal meinen Mantel an.
Gaby, den Mantel!“
    Sie erhielt ihren Anorak zurück.
    Tim half Flühter beim Anziehen,
breitete auch die Decke über ihn.
    „Frieren Sie?“
    „Nein. Im Gegenteil. Nur manchmal — aber
das Frösteln dauert nicht an.“ Er hielt erschöpft inne. „Gaby will mir helfen.
Und ihr?“
    Also, dachte Tim, einen Mörder — bzw.
einen Beinahe-Mörder stelle ich mir anders vor. Trotzdem lasse ich mich nicht
belatschern. Daß einer sympathisch wirkt, besagt zunächst mal gar nichts.
    „Wir sind noch unschlüssig“, erwiderte
er. „Was wir tun werden, hängt von der Geschichte ab, die Sie uns erzählen.
Seien Sie versichert: Wir merken, wenn Sie lügen. Dann ist in drei Minuten die
Polizei hier. Andererseits: Mit dem, was Sie für Gaby getan haben, steht Ihnen
die Lebensretter-Medaille zu. Und Sie können darauf bauen, daß wir Sie im Knast
besuchen — und Freßpakete mitbringen.“
    Flühter lächelte. „Ich bin ausgebrochen,
um zu beweisen, daß ich nicht schuldig bin.“
    „Hm, hm.“
    Flühter schloß die Augen.
    Gaby und Karl hockten sich neben Tim — ebenfalls
auf die Fersen.
    Klößchen blieb stehen. Die Hocke war
für ihn eine gefährliche Haltung. Entweder er kippte um, oder er brauchte
jemanden, der ihn wieder hochzog.
    „Mein Name ist Hasso Flühter“, er
öffnete die Lider, „bin 42, habe Koch gelernt und in Südfrankreich ein eigenes
Lokal gehabt. Vor acht Jahren konnte ich das verpachten. Ich siedelte mich hier
an, kaufte ein kleines Haus in der Nepomuk-Straße. Kennt ihr, ja? Ist ziemlich
weit draußen: zwischen Stettenborn und dem Stadtrand.“
    „Stettenborn gehört zur Stadt“, sagte
Karl.
    „Ist eingemeindet. Ich weiß. Aber die
ehemalige Stadtgrenze — für mich gilt die noch.“
    Er hielt inne. Das Sprechen erschöpfte
ihn.
    Handeln wir fahrlässig? überlegte Tim.
Der Mann gehört ins Bett. Auf jeden Fall braucht er vier Wände um sich.
    „Mein Nachbar“, fuhr Flühter fort, „war
ein gewisser Lutz Röder. Ich habe ihn Krake genannt. Irgendwie erinnerte er
mich an einen großen Tintenfisch — vielleicht wegen seiner fischigen Glotzaugen
und den überlangen
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