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Der Mörder aus dem Schauerwald

Der Mörder aus dem Schauerwald

Titel: Der Mörder aus dem Schauerwald
Autoren: Stefan Wolf
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den
West-Friedhof.
    Drüben bei der Aussegnungs-Halle
schwatzten zwei alte Frauen miteinander. Sie hatten die Gräber ihrer toten
Männer gepflegt. Machten das schon sooo lange. Für sie, die Witwen, war der
Friedhof keine Stätte der Feierlichkeit und Besinnung. Sie kamen gern her, weil
man hier seinesgleichen traf. Zeit für ein Schwätzchen war immer; und je
lustiger der neueste Tratsch war, um so besser.
    Röder verharrte reglos. Nicht im Gebet,
sondern in stummer Zwiesprache mit Christine, seiner Frau.
    Sie war — wie er meinte — keines
natürlichen Todes gestorben. Nein!
    Noch bebte die Winterluft.
    Aber der Jet entfernte sich.
    Sein Buglicht zuckte im roten Rhythmus.
Westwärts.
    Vielleicht flogen da ein paar lustige
Typen nach Spanien, weil ihnen der Winter hier stank.
    Winter!
    Sein Leichentuch bedeckte die Gräber.
    Wie entsetzlich mußte es sein, in
dieser kalten Erde zu liegen.
    Irgendwo muß ich meinen letzten Willen
hinterlegen, dachte Röder. Ich will, daß man mich verbrennt, wenn ich den
letzten Schnaufer getan habe.
    Es begann zu schneien.
    Krake Röder bewegte seine lange Gestalt
zum Ausgang.
    Dem Witwer fehlte nicht viel an zwei
Metern. Aber wenn er sich auf die Waage stellte, legte der Zeiger keinen weiten
Weg zurück. Röder war dürr. Die dünnen langen Arme und die dünnen langen Beine
wirkten tatsächlich wie Tentakeln — wie die Greifwerkzeuge der Tintenfische.
Röders Hals war so stabil wie ein Stengel; das ausgemergelte Knochengesicht
versteckte sich hinter einem graublonden Vollbart.
    Röders Wagen, ein Opel, stand auf dem
Parkplatz.
    Nach Hause?
    Dort erwartete ihn, Röder, nur Öde.
    Also in die Stadt — und den Nachmittag
irgendwie totschlagen.
    Röder war in den besten Jahren, aber er
arbeitete nicht mehr.
    Nach Christines Tod vor zwei Jahren
hatte er alles an den Nagel gehängt — die Vertretung, das Rumreisen. Wegen
eines Unfalls bezog er eine kleine Rente. Die reichte zwar nicht aus, aber
seine Genügsamkeit nahm von Tag zu Tag zu. Seine Ansprüche lagen etwa in der
Mitte zwischen ,wenig 4 und ,gar nichts 4 .
    Er schaltete Scheibenwischer und
Gebläse ein.
    Der Motor stotterte. Aber nach 100
Metern lief er rund — trotz seines Alters.
    Der Schreck — nein, ein Schock packte
Röder, als er an dem grauen Gebäude vorbeifuhr.
    Es lag im Stadtteil Westkirchen.
    Der Witwer wußte, daß in dem Gebäude
eine Berufsschule untergebracht war — eine für die Fortbildung und Umschulung
Erwachsener.
    Ein Mann war durch das Portal herausgekommen
und ging auf dem rechten Fußweg stadteinwärts.
    Eine Mappe unterm Arm. Der linke Fuß
hinkte. Die bulligen Schultern zogen sich hoch. Kein Hut. Ein brandroter
Krauskopf über einem breiten, sehr bleichen Gesicht.
    Krake Röder hatte einen Blick zur Seite
geworfen, als er den Rothaarigen überholte.
    Jetzt umklammerten Röders Hände das
Lenkrad. Wie im Schüttelfrost schlugen die Zähne aufeinander.
    Die Ampel war rot.
    Er bremste in letzter Sekunde.
    Daß er halb auf dem Gehsteig stand,
trug ihm die wütenden Blicke zweier Männer ein.
    Der eine hob schon den Fuß, um gegen
den Kühlergriff zu treten, ging dann aber weiter — mit dem Zeigefinger an der
Schläfe.
    Röders Herz galoppierte, legte
Bocksprünge ein.
    Er wartete, schielte nach rechts, mußte
an sich halten, um nicht nach hinten zu blicken.
    Jetzt tauchte der Rothaarige im
Blickfeld auf.
    Vor Röders Wagen überquerte er den
Zebrastreifen.
    Der Witwer duckte sich.
    Wie dumm! Der andere kannte ihn nicht.
    Aber Röder hatte seinen Namen
ermittelt. Damals, vor fünf Jahren. Hatte den Zufall auf seiner Seite gehabt.
    Der Rothaarige hieß Ottmar Selbig.
    Christines Mörder!
    Eine Parklücke war frei.
    Röder stellte seinen Wagen ab.
    Selbig hinkte flott, schwenkte einen
Arm, hielt mit dem andern die Mappe.
    Röder folgte ihm.
    Selbig ging bis zur Bushaltestelle, wo
mehrere Leute warteten.
    Eine Frau zog ihren Pudel, der immer
wieder auf die Fahrbahn sprang, an der Leine zurück. Ein Junge mit Schulranzen
wurde von zwei andern geschubst. Eine Oma mischte sich ein und erklärte, daß es
feige sei: zwei gegen einen. Einer der Schubser trat zurück. Der andere schlug
dem Prügelknaben die Faust auf die Nase.

    Röder zündete eine Zigarette an.
    Mit dem Streichholz hätte er das nicht
geschafft, weil seine Hände zitterten. Aber das Sturmfeuerzeug berührte
schließlich den Sargnagel.
    Selbig drängelte sich nach vorn.
    Röder blieb hinter ihm.
    Ein seltsamer Geruch strömte aus
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