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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger
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Herzen.
    Hinterher lagen sie noch lange beieinander. Zärtlich strich Judith über die Narben, die seinen Oberkörper zeichneten und von einem bewegten Leben kündeten. Hartmann schilderte ihr die Schwierigkeiten, denen er in der Klosterschule und am Hof des Herzogs ausgesetzt gewesen war, und sie erzählte ihm von ihrer Mutter. Seine Fragen und Vermutungen halfen ihr dabei, Mechthilds Verhalten besser zu verstehen.
    In den folgenden Monaten stürzten sie sich in einen Sinnesrausch, wie sie es beide noch nicht erlebt hatten. An entlegenen Orten verabredeten sie sich und fielen übereinander her. Gegenseitig fingen sie sich auf dem Heimweg ab und gaben sich ihrer Lust hin. In nur wenigen Wochen holten sie nach, was sie in so vielen Jahren entbehren mussten. Beide waren überrascht, wie sehr die Intimitäten ihre Verbindung bereicherten und wie sehr sich ihre Gefühle noch vertieften. Schon im Winter war ihr Leib mit einem Kind gesegnet. Und genau ein Jahr nach dem Gotteskampf schlossen sie den Bund der Ehe.

Im Jahre des Herrn 1202

1.
    Agnes hatte mittlerweile ein stattliches Alter erreicht. Auf Krankenbesuche begleitete sie Judith schon lange nicht mehr - ihre Füße taugten nicht mehr für die langen Märsche. Meistens saß sie vor der Adlerburg und passte auf die Enkel auf. Dann hatte sie auch genügend Zeit, um über ihre eigenen Kinder nachzudenken. Ihre Töchter waren viel zu früh gestorben, und manchmal stellte sie sich vor, was aus den Mädchen geworden wäre, wenn sie mehr Zeit auf Erden gehabt hätten. Die beiden Söhne führten mittlerweile ein gottgefälliges Dasein.
    Heinrich hatte auf dem Weg nach Santiago de Compostela im Gästehaus eines Benediktinerklosters übernachtet und durch zahlreiche Gespräche mit dem Bruder Pförtner so viel Trost gefunden, dass er den Entschluss gefasst hatte, sein Geld dem Abt darzubringen und das Gelübde abzulegen. Ein Reisender hatte ihr die frohe Botschaft überbracht, und sie zweifelte nicht daran, dass Heinrich seinen inneren Frieden gefunden hatte.
    Hartmann hatte den Hausherrenstuhl übernommen und dem Herzog von Zähringen den Treueid geschworen. Als Dorfschulze wurde er von den Bauern für seine Rechtschaffenheit und Musikalität geachtet. Mit seiner
Ehefrau Judith verband ihn eine innige Liebe, aus der insgesamt noch fünf Kinder hervorgegangen waren. Alle Enkel waren bei guter Gesundheit, und Agnes hegte die Hoffnung, dass sie eines Tages selber eine Familie gründen würden.
    »Sei gegrüßt, Mutter!«, rief Judith in diesem Moment. Sie kam gerade von der Niederkunft einer Bäuerin zurück und wurde von den beiden jüngsten Kindern stürmisch begrüßt. Die Kleinen klammerten sich an ihre Beine, so dass sie kaum noch vom Fleck kam.
    »Wie ist es gelaufen?«, fragte Agnes.
    »Keine Komplikationen«, erwiderte Judith. »Die Bäuerin beklagte sich zwar, dass sie noch ein weiteres Maul stopfen müsse, aber man konnte ihr anmerken, wie sehr sie sich freute... Du siehst erschöpft aus. Haben dir die Quälgeister keine Ruhe gelassen?«
    Agnes hatte schon den ganzen Tag das Gefühl gehabt, als würde ihr ein Schatten folgen, aber wann immer sie sich umgedreht hatte, war ihr nichts Ungewöhnliches aufgefallen. »Ich lege mich heute nur früher hin. Auf dem Küchentisch steht eine Schüssel mit Hirsebrei, die ich vorbereitet habe. Und grüß mir meinen Sohn, wenn er heimkehrt.«
    »Das werde ich tun«, sagte Judith, blieb jedoch noch stehen. »Ich habe dir das noch nie gesagt, aber du hast einen großen Anteil dazu beigetragen, dass mein Leben eine so glückliche Wendung genommen hat. Es gab eine Zeit, da hatte ich keine Hoffnung mehr, da wäre ich am liebsten...« Sie brach ab.
    »Das liegt lange zurück und braucht dich nicht mehr zu kümmern«, erwiderte Agnes sanft. »Es gibt einen Grund, warum die Zeit immer weiter voranschreitet, weißt du?«
    »Wahrscheinlich hast du Recht. Trotzdem werde ich niemals vergessen, was du für mich getan hast. Ich danke dir so sehr.« In Judiths Augen glitzerten Tränen. Dann verschwand sie mit den Kindern im Bruchsteinhaus.
    »Der Herr wache über euch«, sagte Agnes leise und ging lächelnd zu der früheren Knechthütte, die ihr Sohn Hartmann mit einem Fenster und einem Ofen für sie ausgestattet hatte. Hier hatte sie mehr Ruhe und konnte auch alleine sein, wenn sie das Bedürfnis danach hatte. Sie schloss die Tür hinter sich, zog den Wollumhang aus und setzte sich auf die Bettkante. Mit dem groben Holzkamm fuhr sie durch ihr
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