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Der Minnesaenger

Titel: Der Minnesaenger
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mehr von dieser Welt. Hartmann zog es das Herz zusammen. Er war erschüttert und setzte sich neben sie. Er wollte sie nicht überfordern und ging sehr behutsam vor. »Ich bringe dir etwas Brot und Honigwein«, sagte er sanft. »Trink einen Schluck und iss auch ein paar Brocken, damit du wieder zu Kräften kommst.«
    »Hartmann? Bist du das wirklich? Eben spazierten wir noch an unserem Fluss entlang. Ich meine...«
    »Ich bin heute Nachmittag zurückgekehrt. Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie dich eingesperrt haben.«
    »Agnes? Sie hat ein neues Rezept gegen Keuchhusten und...«
    »Judith, bitte komm zu dir! Seit über einem Monat sitzt du im Verlies. Du musst mir erzählen, was geschehen ist, damit ich dich hier rausholen kann.«
    Ihre Hände tasteten in der Dunkelheit nach seinem Gesicht. Die Berührung war so zart, so menschlich und so vertrauensvoll - und sie stand in einem so krassen Gegensatz zu dem tödlichen Handwerk, dem Hartmann in den vergangenen zwei Jahren nachgegangen war.
    »Ich wusste, dass du zurückkehren würdest, ich wusste, dass du dein Versprechen halten würdest«, sagte Judith und legte ihren Kopf an seine Brust.
    Für einen Moment konnte er kaum glauben, dass sie ihm nahe sein wollte. Warum fürchtete sie sich nicht? Warum rannte sie nicht davon - wie all die Bauern, durch deren Dörfer sie gezogen waren? Er streckte die Hand aus und streichelte über ihre kalte Stirn. Judith war bei ihm, und das war alles, was er sich jemals gewünscht hatte. Erst jetzt begriff er, dass er heimgekehrt war.

    »Ich kann hören, wie dein Herz schlägt!«, flüsterte sie.
    Lange saß Hartmann einfach nur da und lauschte auf ihren Atem. Es kam ihm alles wie ein Wunder vor.
    Zweimal schob Judith ihren Kopf in eine bequemere Position. Einmal schlang sie ihre Arme um seine Knie und drückte so fest zu, als wollte sie ihn nie mehr loslassen.
    Hartmann wusste, dass die vergangenen zwei Jahre nicht spurlos an ihm vorübergegangen waren. Manchmal, wenn er alleine war, überkam ihn eine Schwere und Düsternis, wie er sie nie zuvor erlebt hatte. Jetzt fühlte er wieder, warum er all die Strapazen auf sich genommen hatte. Judiths Vertrauen und Nähe gaben ihm die Hoffnung zurück.
    Als sie irgendwann anfing, von den ungeheuerlichen Geschehnissen zu erzählen, spürte Hartmann beinahe sofort, wie sein Blut wieder erkaltete. Er durfte dem inneren Bedürfnis nach Frieden noch nicht nachgeben. Judith war noch nicht in Sicherheit, ihr Glück wurde immer noch bedroht. Ja, ein letztes Mal musste er noch kämpfen.
    »August hat nicht damit gerechnet, dass der Vogt dich der Herrenhuld übergeben würde«, sagte er. »Das war sein Fehler und ich werde ihn nutzen. NachTagesanbruch bitte ich den Herzog um einen Aufschub. Dann finde ich einen Weg, um deine Unschuld zu beweisen.«

8.
    Am nächsten Tag suchte Hartmann den Herzog auf. Hinterher kehrte er in die Stadt zurück, wo seine Gefährten ihn in einem Wirtshaus erwarteten.
    »Was hat er gesagt?«, fragte Burkhard von Schlatt.
    »Warte, lass mich erst was trinken«, erwiderte Hartmann,
setzte den Mostkrug an die Lippen und leerte ihn in einem Zug. »Eigentlich hatte er der Empfehlung des Blutgerichts folgen wollen, aber auf mein dringendes Bitten hin erklärte er sich bereit, den Spruch für die Dauer von drei Tagen aufzuschieben und zu einer erneuten Anhörung im Bürgersaal zu erscheinen. So entgegenkommend habe ich ihn noch nie erlebt. Wenn ich vor zwei Jahren zu ihm gekommen wäre, hätte er sich niemals erweichen lassen.«
    »Du bist jetzt ein Kreuzfahrer«, sagte der Marschall, »und kommst jetzt bei ihm gleich hinter den Pfaffen.«
    »Trotzdem - ich war erstaunt, wie viel Umsicht er gezeigt hat. Was habt ihr in der Zwischenzeit herausgefunden?«
    »Wenn man den Leuten glaubt«, erzählte Burkhard, »ist dieser August ein Ausbund an Rechtschaffenheit und Mildtätigkeit. Kein Bürger verlor ein schlechtesWort über ihn. Er geht regelmäßig zu den Gottesdiensten, er unterstützt den Bau der Wehrmauern und spendet für die Armen und Kranken. Für Bittsteller hat er immer ein offenes Ohr und hilft ihnen in der Not. Nur sein Serviermädchen zwinkerte mir reichlich keck zu.«
    »Selbst wenn sie ein Kebsverhältnis haben, ist uns nicht geholfen«, sagte Hartmann. »Wie steht es um Judiths Ruf?«
    »Die Leute sind entsetzt über die Vorwürfe«, erwiderte der Marschall. »Keiner traut ihr eine solche Tat zu, aber die meisten haben von den Gerüchten gehört, dass sie sowohl mit
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