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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot
Autoren: Thomas Raab
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herausgepresst hatte, nämlich den Willibald, der musste schon der Kreislauf versagen oder ein hohes Fieber die Glieder lähmen beziehungsweise reißen, damit sie mit einem leichten Seufzer ihrer kleinen Unpässlichkeit auf dem Sofa kurz Folge leistete. Bewusst würde der Metzger klarerweise die hochverehrte Mutter als Vorbild auswählen, aber unbewusst schlägt er ganz dem Vater nach, und das nach allen Regeln der Kunst, mit dem Unterschied, dass er halt arbeiten geht. Es ist ja auch niemand zuhause. Wer soll ihm da die notwendige Anteilnahme zukommen lassen? So müssen also die ehrwürdigen Möbelstücke für die leidgeplagte Verfassung und entsetzliche Laune ihres Restaurators knarrend das Holz hinhalten, wenn dieser vor Selbstmitleid zerfließend, selbst schwer restaurationsbedürftig, an ihnen sein kränkliches, launisches Händchen anlegt. Und da hat er schon einiges gründlich verpfuscht, der Metzger.
    Zum Glück gehört Krankheit zu den eher seltenen Gästen in Willibalds Universum, wahrscheinlich dank Rotwein. So eine Verkühlung allerdings ist für den Metzger in der Hitparade der beliebtesten Wehwehchen eher hinten eingereiht. Die schleppt man ewig mit sich herum, so wie schlechte Erinnerungen.
    Der Tag kann also gar nicht schlechter anfangen, denkt sich der Metzger und sollte sich täuschen.
    Nun ist es bei einer Erkrankung zumeist so, dass der von Beschwerden geplagte Mensch umgehend zu Gegenmitteln greift. Zu ihm bekannten Gegenmitteln, wohlgemerkt. Willibalds Mutter war eine couragierte Verfechterin der Naturheilmittelmethode, von der Pike an eingetrichtert durch die eigene Mama, unheilvoll und ohne Gewähr jeglichen Widerspruchs angewandt an dem leidgeprüften Willibald Adrian.
    Der hat dann zu Verkühlungs-, Verschnupfungs- oder gar Influenzazeiten, und da musste er gar nicht selbst betroffen sein, eine Zwiebel-, Topfen-, Essigfahne herumgeschleppt, die jegliche Annäherung diverser Bazillen oder Viren und vor allem ihrer menschlichen Überträger von vornherein ausschloss. Einer der Gründe für Willibalds kindliche Unnahbarkeit im anbrechenden Herbst, Winter und zur Zeit des Auftauchens der ersten Frühlingsboten waren unter anderem aromatischer Natur.
    Kein Wunder also, dass der Metzger auf die Prozessionsraupen in seinen Atemwegen mit einem akkuraten Weg zum Kleiderschrank reagiert, um dort das noch von Mutter genähte Zwiebelsackerl und das Seidenhalstuch hervorzukramen. Und während er in der Küche unter Tränen die erste Ladung Zwiebeln schneidet, überkommt ihn ein heftiger Gusto auf etwas richtig Deftiges. Manchmal schleicht sich die Erinnerung eben zuerst über den Geschmackssinn in unser Hirn, denn der kleine Willibald Adrian kannte als bettlägeriger Junge keine größere Leidenschaft, als heimlich die bereits ausgetrockneten Zwiebelringe in dem um die Brust baumelnden Säckchen, samt dem ebenso vertrockneten Topfen um seinen Hals, in kleinen Portionen genüsslich zu verspeisen, als heimliche Beilage zur bereits Albtraum verursachenden Hühnersuppe.
    So stülpt sich der Metzger also das gefüllte Zwiebelsackerl vorsichtig über den dafür eigentlich schon viel zu großen Kopf, verpasst sich einen Topfenwickel und schlapft ermattet von dieser Anstrengung sofort zurück in sein Bett. Das wird nichts mit der Werkstatt heute, geht es ihm durch den Kopf, und eine schwere Djurkovic-Sehnsucht gesellt sich zu den ersten Impulsen eines gewaltigen Selbstmitleidsanfalles. Selber schuld, denkt sich der Metzger, und vor seinem inneren Auge glänzt der unbenutzte Zweitschlüssel seiner Wohnung in der Lade des Vorzimmertischchens. Armer Willibald Adrian, krank sein ohne Fernseher, ohne Tratschzeitungen und ohne Gesellschaft, da kann er einem schon leid tun. Das mit der Gesellschaft sollte sich aber ändern. Denn während der Metzger in einen traumgebeutelten, verschwitzten Halbschlaf fällt, läutet es Sturm an seiner Tür.
    „Metzger, du bist also zuhause, das zur Frage, wer um welche Uhrzeit an seiner Dienststelle was zu tun hat!“, begrüßt ein schelmisch grinsender Pospischill den blassen, vom Sich-zur-Tür-Schleppen schweißtriefenden und völlig niedergeschlagenen Willibald, geht an ihm vorbei ins Wohnzimmer, Schuhe werden klarerweise nicht ausgezogen, setzt sich aufs Chesterfieldsofa und setzt fort:
    „Na, da riecht es wie beim Hintereingang des türkischen Gemüsehändlers bei mir um die Ecke. Du schaust auch aus, als hättest du die Nacht dort verbracht. Was ist los mit dir? Einen gesunden
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