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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot
Autoren: Thomas Raab
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und ein Schwindel überkommt ihn, als wäre der Lift drauf und dran, die Atmosphäre zu verlassen. Nur ist es der Willibald, der sich gerade von seiner inneren Atmosphäre verabschiedet, diesem wohligen Gefühl eines abgegrenzten Daseins. Mit einem Schlag ist es vorbei mit der Annahme, unter dem Glassturz der eigenen Bedeutungslosigkeit wohlbehütet durchs Leben spazieren zu können. Angst, Lebensangst, ändert alles. Sie stülpt sich wie eine Haut über die Außenfühler der Wahrnehmung, übersetzt jeden Eindruck, jede Regung, jeden Gedanken in eine düstere Sprache und heftet sich an den Schritt, an jeden einzelnen Schritt durchs weitere Leben, Tag und Nacht.
    Vielleicht weiß er ja gar nichts von mir! Und wenn er von mir weiß, vielleicht weiß er dann auch, dass alles, was ich wissen könnte, völlig belanglos ist, dass all dieses Wissen kein Fundament hat! Vielleicht …!
    Der Metzger sucht verzweifelt nach Auswegen, sucht nach beruhigenden Argumenten, aber ganz im Gegensatz zu seiner Klarheit über den Owuso-Fall eröffnet sich ihm nun, was seine eigene Person betrifft, nur eine betäubende Ungewissheit.
    Sehr lange wird es dauern, bis der Metzger diese einsame, nicht mitteilbare Angst wieder los ist. Und selbst wenn er wüsste, dass Heinz Hörmann nicht den geringsten Gedanken an ihn verschwendet, gar keine Ahnung hat, wer er ist, und es ihm, wenn er Ahnung hätte, reichlich egal wäre, ja, selbst wenn der Metzger all das wüsste, selbst dann bliebe ihm ein wenig von der plötzlichen Angst ums eigene Ich.
    Nicht mehr los wird er allerdings diese Leere des Unfassbaren, dieses, die Grundfeste der Moral erschütternde Entsetzen, ausgelöst von der Überzeugung über Richtigkeit und Logik seiner Theorie.
    Nur sind halt Gefühle als Beweismittel so unbrauchbar wie ein Hula-Hoop-Reifen zum Fischefangen, wie eine Springschnur auf dem Mond. Es zählt nur das belegbare Ermittlungsergebnis.
    Und genau darum geht es auch bei dieser Geschichte: um das Ergebnis – alles andere ist Beiwerk. Ausschließlich Resultate sind die Messlatte, je dünner die Luft dort oben wird, an der Spitze.
    Und genau da wollte er auch hin, Heinz Hörmann, wer immer das ist, mit allen Mitteln, die der Zweck bekanntlich heiligt. Ein Überflieger über die Köpfe der anderen hinweg. Ein Gipfelstürmer.
    Willibald Adrian Metzger ist fassungslos, ein „gelöstes Verbrechen“ dient zum Freispruch des Verbrechers. Kein Mensch wird jemals beweisen können, auf welcher Route Heinz Hörmann diesen Weg zum Gipfel gegangen ist, da kann dem Metzger sein sechster Sinn eine Gewissheit nach der anderen durchs Hirn jagen, und der Gedanke, dass genau so ein Kurs, wenn es um hohe Ziele geht, ein durchaus üblicher sein könnte, erfüllt ihn mit einem Ekel, dass ihm jetzt in Kombination mit dieser unheimlichen Angst, immer noch mit beiden Händen abgestützt, wirklich schlecht wird.
    Endlich im Erdgeschoß verlässt er den Aufzug. Auf dem Weg durch die Aula lacht ihm das Transparent einer im 27. Stock eingemieteten Versicherung entgegen. „Gehen Sie auf gesicherten Wegen, denn der Weg ist das Ziel.“
    Das glaub ich, denkt sich der Metzger, gerade hier in diesem Haus! Der Weg ist das Ziel, gilt nur für die Niedergeschlagenen, die demütig vom Leben Gezeichneten, die Besucher einer erfolgreichen Therapie, die Philosophen oder ein paar ehrliche Individualisten, für den Rest gilt: Das Ziel ist das Ziel, und nur die wenigsten geben es zu. Und garantiert nicht im Handgepäck, auf dem Weg zu diesem Ziel, ist die Moral!

    Auf die würde Petar Wollnar jetzt auch gerne vergessen. Denn mit blassem Gesicht schleppt der Metzger, unter aufmerksamer Beobachtung seines Hausmeisters, den schweren Vollholzsessel zurück zum Pritschenwagen. Wobei die aufmerksame Beobachtung bei Gott nicht für den Restaurator gedacht ist. Und wie dann die Stimme dieser wunderschönen Dame von vorhin, die zufälligerweise hinter dem Metzger ebenso das Gebäude verlässt, ein erfreutes „Willibald!“ ausruft, wird dem Wollnar, trotz Frühlingssonne, heiß wie im Hochsommer.
    „Was schleppst du hier vor der Kicker-Saurias-Hochburg, diesem Bauwerk der Moderne, derart altmodische Sessel durch die Gegend?“
    Zusanne Vymetal erhöht die Schrittfrequenz und reiht sich neben dem Metzger ein.
    „Die wollt ich dem Johann König liefern!“
    „Na, da hast du aber noch einen weiten Weg vor dir!“
    „Sehr lustig!“, meint der Metzger und verzieht viel sagend sein immer noch zuckendes
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