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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot
Autoren: Thomas Raab
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Hintern und die Geldbörse reicht oft schon für eine ganze Weile.
    Jetzt hat die Dame vom Wollnar nur das Gesicht gesehen, gut die Börse wäre jetzt kein weiteres überzeugendes Argument, aber alles andere! Und dieses Sanftmütige und Ruhige in den polnischen Augen haben ihr gereicht, um das Wollnar-Schmunzeln so wohlwollend zu erwidern, dass es dem Hausmeister noch lange in Erinnerung bleiben wird.
    Wann hat mich eine Frau zuletzt so angesehen, grübelt der Wollnar und landet gedanklich trotz Doppelehe schon wieder bei seiner polnischen Kindergartentante Ewa.
    Verträumt sieht er der Dame nach, die nun ins selbe Gebäude geht, in das auch der Willibald kurz zuvor seinen ersten Sessel gebracht hat, und wäre am liebsten unter das Armaturenbrett gekrochen. Dreht sich dieses wunderbare Frauenzimmer doch wirklich abermals um und erwischt ihn beim triebgesteuerten Nachgaffen. Peinlicher geht es nicht, denkt sich der Wollnar, dessen Magenhöhle sich vor lauter Aufregung scheinbar selbst zersetzt, so schlecht ist ihm. Dabei vergisst er, dass der erste Blickkontakt eher selbstgesprächsartigen Charakter hat und bedeutet: „Was ist denn das für eine fesche Person?“, der zweite aber schon durchaus einen Mitteilungszweck verfolgen könnte, ganz im Sinne von „Du gefällst mir, gefall ich dir auch?“

59
    „Damit haben Sie jetzt nicht gerechnet!“, begründet der Präsident sein eigenes Lachen.
    Dem Metzger ist durch die überraschende Bewegung in seinem Rücken der Schweiß auf die Stirn getreten. Zögerlich dreht er sich um, blickt auf einer überdimensionalen Spiegelfläche sich selbst ins Gesicht und erneut über die Stadt.
    „Ich will die Aussicht ja auch beim Arbeiten genießen können und das Stadion im Auge behalten!“, meint der neue Saurias-Präsident und setzt fort:
    „Mit Ihren Möbeln kann ich nichts anfangen, tut mir leid. Den Sessel und was immer Sie noch dabei haben, müssen Sie leider wieder mitnehmen!“
    „Das denk ich mir, Sie sind eher ein Anhänger der Moderne, wie ich sehe!“, bringt der Metzger noch heraus, bevor es ihm die Sprache verschlägt. Links und rechts vom Spiegel breitet sich, auf den beiden einzigen freien Mauerstellen des Büros, aufgegliedert wie die Marschordnung römischer Legionäre, eine Gemäldesammlung aus, deren Gesamtwert einigen Bürgern unter den Dächern dieser Stadt die Existenzgrundlage für ein ganzes Lebens bieten könnte.
    Und mitten drinnen, in dieser Offenlegung an Geschmacksverwirrung eine Reihe von Georgy Podinskys. „Alles Originale!“, hört er stolz in seinem Rücken.
    Ich weiß, denkt sich der Metzger.
    Was er allerdings nicht weiß, ist, wie der rote Podinsky aus dem Rosenzimmer hierher gekommen ist.
    Gerne wäre er jetzt noch gesessen, allerdings nur, was den Kreislauf betrifft, denn die restlichen Informationen seines Körpers deuten ganz klar zur Ausgangstür.
    „Dann entschuldigen Sie die Störung, Herr …“
    „Hörmann. Heinz Hörmann ist mein Name!“
    „Herr Hörmann“, wiederholt der Metzger langsam, suchend, als müsste der Name einen Sinn ergeben.
    „Auf Wiedersehen!“, dann steht der Metzger wieder im Lift. Endlos kommt ihm die Fahrt ins Erdgeschoß vor. Ruhig, bis auf das lange schon nicht mehr da gewesene Zucken am Rand des rechten Mundwinkels, steht er mit der Schulter an die Wand gelehnt und starrt durchs Fenster auf die näher kommenden Dächer. Immer wieder hält der Aufzug, Menschen steigen ein, andere steigen aus. Der Fahrstuhl schrumpft zusammen auf ein reduziertes Abbild des Lebens: Kommen und Gehen, auf und ab, und jeder für sich.
    Etwas fängt an, etwas hört auf, als ständige Begleitmusik der Existenz. Anfang und Ende als überbewertete, abgedroschene Metapher. Dem Metzger wird klar, dass das schlichtweg nicht stimmt. Das Weitergehen ist es. Allein das ständige Weitergehen, unabhängig aus welcher Richtung der Wind pfeift. Wir wissen nur nicht, was ans Leben anschließt und was ihm vorausgeht. Aber hier, im beschränkten Ausschnitt des Daseins hört etwas auf und fängt gleichzeitig etwas an, geht es immer weiter, bis zum Wechsel ins Unsichtbare.
    Das Unsichtbare gibt es auch im Diesseits. Die Wirklichkeit ist immer eine Frage der Perspektive.
    Und während der Lift seinem Weg folgt, richtet sich beim Metzger jede Wahrnehmung nach innen, auf diesen Film, der plötzlich synchron läuft, im Hirn und im Bauch.
    Dann schließt sich ein Kreis. Durch die einzelnen Punkte, die scheinbar zusammenhanglos und unverdaut in
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