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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper
Autoren: Paolo Giordano
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des Zimmers. In der Tat gibt es da etwas, worüber ich mit dir reden möchte.»
     
    Er kommt mit wenig Gepäck aus: zwei prall gefüllte Reisetaschen und ein Rucksack – das Leben in der Kaserne hat ihn zu äußerster Genügsamkeit erzogen. Was mit den Möbeln geschieht, die er aus eigener Tasche bezahlt hat, wird er später beschließen, vorerst hat er sie in einem Lagerraum am Stadtrand untergestellt.
    Marianna ist erschüttert von der Nachricht seiner baldigen Abreise. Sie trägt einen sehr langen Pullover, und ihr Gesicht ist stark geschminkt, wodurch ihr sehr heller Teint vulgär wirkt.
    «Sie
können
dich nicht so davonjagen. Das ist doch verrückt!»
    «Sie jagen mich nicht davon. Ich werde versetzt. Das ist ein recht normaler Vorgang.»
    «Na ja, schade, dass sie dir nicht einmal die Wahl gelassen haben. Eine Erpressung, nicht mehr und nicht weniger. Und dich von Turin an einen abartigen Ort wie Belluno zu schicken. Belluno, wer hat denn je davon gehört? Ich wusste nicht einmal, wo das liegt, bis heute.»
    Er hat ihr nicht wirklich die Wahrheit gesagt. Was er ihr erzählt hat, ist seine eigene, reichlich lückenhafte Rekonstruktion der Vorgänge. Alle Energie, von der er sich durchströmt fühlt, reicht nicht aus, um Marianna zu gestehen, dass es sein Entschluss war, sich zu entfernen, alles stehen- und liegenzulassen, um den Ausdruck zu zitieren, den sie am Telefon gebraucht hat. «In der Gegend dort macht man hervorragende Knödel», scherzt er. «Weißt du, was das ist?»
    Marianna schüttelt den Kopf. «Interessiert mich auch nicht.»
    Sie sitzt auf dem abgezogenen Bett, den Rücken gegen die Wand gelehnt und die Schuhe achtlos auf dem weißen Moltonüberzug. Das Kinn hat sie auf die Brust gesenkt, was ihr eine Schmollmiene verleiht. Egitto weiß nicht, woran es liegt, aber seine Schwester hat eine immer noch sehr jugendliche Art, sich zusammenzukauern. Vielleicht ist es nur, weil sie in seinen Augen ewig jung bleiben wird, ein Mädchen, auch wenn sie Falten und graue Haare hat. Ihm fällt auf, dass dies erst das zweite Mal ist, dass sie ihren Fuß in sein Zimmer setzt: am Tag seines Einzugs und jetzt, da er sich anschickt, es zu verlassen.
    «Ich sage dir, wenn wir die Sache einem Anwalt in die Hand geben, wird sicherlich …»
    «Kein Anwalt. Hör auf zu drängen.»
    Marianna legt spielerisch die Finger der beiden Hände aneinander. Ihr Blick ist einer übernatürlichen Konzentration fähig, die Koordination ihrer Bewegungen ist perfekt wie früher. Nach all den Kämpfen, in die sie ihn verwickelt hat, ist die Liebe, die Egitto für sie empfindet, unberührt, aber es ist, als ginge sie nur ihn etwas an, sie ist wie ein geflügeltes Wesen, dazu verdammt, immer in der Luft zu bleiben, ohne sich niederzulassen.
    «Jedenfalls ist es nicht gerecht, dass du so weit fortgehst. Und dann verstehe ich den Grund nicht für all diese Eile, da du ja vorerst suspendiert bist.»
    «Ich muss mir eine Wohnung suchen, mich einrichten. Du kannst kommen, sobald ich damit fertig bin.»
    Sie springt vom Bett herunter und wirft einen kalten Blick auf das Lager ohne Kissen. «Du
weißt
, dass ich nicht Autobahn fahre. Und seitdem er Rückenprobleme hat, kann Carlo keine langen Reisen mehr machen. Er ist operiert worden, falls du dich noch erinnerst.»
    «Stimmt. Das hatte ich vergessen.»
    Es bleibt ihm nichts weiter übrig, als das x-te Versprechen zu geben, sich einen Anhaltspunkt in der Zukunft zu schaffen, die ihn erwartet. «Dann komme eben ich», sagt er. Er setzt jedoch hinzu: «Sobald ich kann.»
    Marianna gibt ihm einen raschen Kuss auf die Wange. Gefühlsäußerungen sind nie ihre Sache gewesen, die wenigen und blitzartigen, die sie tauschten, besiegelten jeweils Ereignisse von außergewöhnlicher Tragweite. Sie geht auf die Tür zu. «Ich muss wirklich los. Es ist spät. Bist du sicher, dass dieses Radio funktioniert? Es kommt mir kaputt vor.» Zerstreut kramt sie in ihrer Handtasche, dann sieht sie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen wieder an. «Alessandro, denk daran, du bist nie imstande gewesen, gut für dich zu sorgen.»
     
    Das scheint jedoch für den Neuanfang nicht zu stimmen. In Belluno findet Egitto sofort eine Mietwohnung: knapp vierzig Quadratmeter, auf ihre Weise hübsch. Das ist das Äußerste, was er sich mit dem gekürzten Einkommen leisten kann.
    Er umgibt sich mit Einrichtungsgegenständen, die er mehr wegen ihrer Funktionalität als wegen des Aussehens kauft. Sie erinnern ihn an nichts. In
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