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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper
Autoren: Paolo Giordano
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der Stumpfheit.
    Es sieht so aus, als hätte sein angeborener Hang zur Untätigkeit nun zu Konsequenzen geführt – zu absolut schlechten. Caracciolo hat das vorhin richtig gesagt: Ein moralisches Urteil ist notwendig, und ihres kann nur zu seinen Ungunsten ausfallen. Aber warum fühlt er sich dann plötzlich so wach, fast aufgeräumt, so, als ob endlich alles in Ordnung käme?
    Er holt tief Luft, einmal, zweimal. Dann wendet er sich an den Obersten. «Ich übernehme die volle Verantwortung für das, was geschehen ist.»
    Caracciolo packt den Major am Arm. «Nicht mitschreiben! Es lohnt sich nicht, das festzuhalten … Sie sehen selbst, dass wir noch dabei sind, die Situation abzuklären.» Skeptisch gehorcht der andere ihm.
    «Alessandro, ich bitte dich, sei nicht voreilig. Ich bin mir sicher, es gab jede Menge guter Gründe, weswegen du so und nicht anders gehandelt hast. Wahrscheinlich brauchst du Zeit, um sie in Ruhe zu rekonstruieren.»
    «Der Obergefreite Torsu war nicht in der Verfassung, an solch einem Einsatz teilzunehmen, Herr Oberst.»
    «Ja, aber das hat nichts mit der Explosion und allem anderen zu tun! Und wenn nicht Signor Torsu in diesem Lince gesessen wäre, in diesem Turm, sondern jemand anderer …» Er hält inne, vielleicht, weil er bemerkt, dass seine Argumentation das akzeptable Maß an Zynismus überschreitet. Er versucht es auf einem anderen Weg. «Wenn wir im Krieg stets die größte Vorsicht walten lassen würden … nun, das wäre ein Desaster und wir wären im Handumdrehen besiegt … Früher hat man die Soldaten nicht einmal mit einer Lungenentzündung von der Front geholt, geschweige denn mit einem Durchfall!»
    Der Oberst tut sein Bestes, um ihn zu schützen.
Der Vorfall wird resorbiert
, hat er ihm versprochen. Aber für Egitto ist es zu spät: Das Blut ist schon seit einer Weile koaguliert. Torsu ist aus dem Lince unter die verschreckten Schafe geschleudert worden, er ist mit der Wange an den Felsen entlanggeschrammt.
    «Es war meine Pflicht, die Gesundheit des Obergefreiten zu schützen.»
    «Zweihundert Mann!» Caracciolo fällt ihm ins Wort, als hörte er ihm gar nicht zu. «Stellen Sie sich das vor, sich Tag und Nacht um zweihundert Männer zu kümmern. Die Wahrscheinlichkeit einer Fehleinschätzung ist enorm groß. Und dabei ist hier nicht die Rede von einem normalen Einsatzort, es ist die Rede von …»
    Egitto erhebt hörbar seine Stimme. «Ich habe einen Fehler gemacht, Herr Oberst. Die Verantwortung liegt bei mir.»
    Diesmal sagt er es mit solcher Bestimmtheit, dass Caracciolo den Major nicht daran hindern kann, es zu Protokoll zu nehmen. Er verstummt und starrt Egitto an: Warum tut er das? Warum will er sich sinnlos in Schwierigkeiten bringen? Den Helden, den Gewissenhaften zu spielen, bringt nichts, hat er das noch nicht kapiert?
    Aber es handelt sich nicht um eine Angelegenheit zwischen ihnen und auch nicht um Prinzipientreue. Für Egitto ist es viel einfacher: Es handelt sich nur darum, zu unterscheiden, was ihn etwas angeht und was nicht. Die Körper der Soldaten in der FOB ICE gingen ihn etwas an. Er antwortet dem Obersten durch sein Schweigen: Los, tu, was du tun musst, und basta.
    Caracciolo seufzt. Dann sagt er in einem Ton, der nicht mehr viel Freundschaftliches hat: «Es wird besser sein, die Unterhaltung zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufzunehmen. Der Oberleutnant hat das Recht, seine Verteidigungsstrategie in Ruhe zu überdenken.» Er stößt die Blätter des Berichts auf Kante.
    «Und was ist mit diesen hier?», fragt der Offizier ohne Rangabzeichen und schüttelt das Säckchen mit den Pillen.
    «Ich bitte Sie», fährt Caracciolo auf. «Werfen Sie sie weg!» Dann, zu Egitto gewandt: «Alessandro, du sollst wissen, dass man eine Suspendierung vom Dienst von zwei bis vier Monaten erwägt, plus eine Geldbuße, deren Höhe noch festgelegt wird. In Erwartung des Urteils sehe ich mich gezwungen, dich deines Postens zu entheben. Ich weiß, dass du in der Kaserne wohnst, du wirst also vorübergehend eine Wohnung außerhalb finden müssen. Ich werde mein Bestes tun, damit dir wieder dein Zimmer zugewiesen wird, wenn du den Dienst wiederaufnimmst.»
    «Das ist nicht nötig, Herr Oberst.» Er sagt das, ohne es geplant zu haben. Da ist sie also, die neue Möglichkeit, das Leben durcheinanderzubringen.
    Caracciolo ist sichtlich enttäuscht. «Was soll das heißen?»
    «Ich akzeptiere die maximale Suspendierung. Und du brauchst dir keine Gedanken zu machen wegen
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