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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper
Autoren: Paolo Giordano
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erklären – gib mir eine Zigarette – genau, die dreißig, das ist der Punkt, der überhaupt nicht so einfach ist, wie du das erwartet hast, kannst du mir folgen? Und wenn es dir jetzt extrem einfach vorkommt, als hättest du alles im Griff und könntest sagen, he Jungs, schaut her, schaut, wie tüchtig ich bin, und dir vorerzählen, dass alles in die richtige Richtung laufen wird, nun, in zehn Jahren sprechen wir uns wieder, Champion, und wir werden sehen, ob ich dir nicht die ganze beschissene Wahrheit gesagt habe, wir treffen uns genau hier wieder, und du wirst mir sagen, weißt du, was ist, Stabsgefreiter Cederna? Du hattest auf der ganzen Linie recht, verdammt noch mal, das Leben hat mir einen schönen Arschtritt verpasst und mich an einen Ort befördert, an dem zu landen ich nie gedacht hätte – sie hat nichts damit zu tun, wozu würde ich denn sonst heiraten – jedenfalls, wenn du Rat brauchst, kannst du zu mir kommen, ich kneife nicht, ich kann dir helfen, womöglich gehen wir zusammen das berühmte Bier trinken – heute Abend, was meinst du? – Oder morgen? Kurzum, wann du magst, ich bin immer hier – nein, ich habe abends nicht viel zu tun – an vielen Dingen verliert man den Geschmack, daran kannst du nichts ändern, wenn du früher gern ausgegangen bist, um tausend genauso Durchgeknallte wie dich zu treffen, jedes Mal, wenn du da auf Urlaub warst, hast du doch nur daran gedacht, so viel wie möglich zu saufen, später hast du dazu keine Lust mehr – das bist nicht du, der sich verändert hat, das ist der Körper, die Evolution, verdammt, er befiehlt dir, Schluss zu machen mit diesem Quatsch, weißt du, wie viel ich in deinem Alter gestemmt habe? Rate – nein, mein Herr, sechzig pro Arm, insgesamt hundertzwanzig, zwei Serien à zehn, und meiner Meinung nach würde ich das auch heute noch stemmen, aber ich habe keine Lust mehr dazu, verstehst du? Die Abende sind jedenfalls zu viele, einer nach dem anderen, immer wieder, einer nach dem anderen, du weißt nicht mehr, wie du sie rumkriegen sollst – du wirst eine Menge Dinge sehen, mein Lieber, Dinge, die dir nicht mehr aus dem Kopf gehen, du bist noch jung, hast gerade mal angefangen.»

Andere Berge
    Die Disziplinarkommission, wie sie großspurig in der Vorladung genannt wird, besteht aus drei Mitgliedern. Zwei sind Externe: ein Major und ein anderer Offizier, der keine Rangabzeichen trägt, beide mit südlichem Akzent – Egitto kennt sie nicht. Der Vorsitzende, der in der Mitte sitzt, ist Oberst Matteo Caracciolo, mit dem Egitto schon so lang Umgang hat, dass man es fast als Freundschaft bezeichnen könnte, wäre da nicht diese unüberwindliche Distanz zwischen ihnen. Zumindest seinen Worten nach steht Caracciolo auf seiner Seite. Wenn er ihn nur machen lässt – hat er ihm gestern unter vier Augen gesagt –, wird alles seinen richtigen Gang gehen, und der Zwischenfall wird bald resorbiert sein (genau diesen Ausdruck hat er verwendet,
resorbiert
, als wäre von einem Schädeltrauma die Rede). In der Folge hat er sich jedoch geweigert, den genauen Inhalt der Anklage zu nennen, als ob ihm das peinlich wäre – aber sicher doch, Egitto könne ruhig schlafen, es werde um Lappalien gehen, die üblichen Nichtigkeiten, wie bei der Truppe typisch.
    Vor den anderen Mitgliedern der Kommission duzt der Oberst ihn ständig, auch wenn es so aussieht, als würden die diesen Mangel an Förmlichkeit nicht eben schätzen. Zur Eröffnung der Sitzung in Turin stellt er klar, dass er es für völlig sinnlos halte, Umstände wieder aufzurollen, die über ein Jahr zurücklägen, wenn für seine Brigade schon von einem neuen Einsatz die Rede sei. Aber was sollen sie machen? Die Zeitabläufe der Bürokratie stimmen nicht notwendig mit denen der menschlichen Wesen überein, im Gegenteil, sie stimmen fast nie überein.
    In dem überheizten Raum, der fast vollständig von dem rechteckigen Schreibtisch aus dunklem Holz ausgefüllt wird, ist es stickig. Egitto hat das Bedürfnis, die Augen zu schließen. Trotz der Versicherungen des Obersten hat er in der Nacht nicht geschlafen und fühlt sich jetzt kraftlos, vernichtet, schlecht gelaunt wie an den schlimmsten Tagen vor der medikamentösen Therapie. Das scheint ihm nicht der geeignete Morgen für eine ihn betreffende Untersuchung – Müdigkeit macht ihn immer wenig kompromissbereit. Außerdem hat er mittlerweile begriffen, dass er fasziniert ist von der Freiheit, die das Leben einem gelegentlich
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