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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister
Autoren: Tess Gerritsen
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sehen.«
    »Ein verdammt hoher Preis, um in dieses Land zu gelangen«, meinte Frost.
    Wieder dröhnte ein Jet am Himmel vorüber. Sein Schatten huschte vorbei wie der eines Raubvogels, der sich auf seine Beute stürzt.
    Rizzoli blickte zum Himmel empor. Sie stellte sich vor, wie ein Körper von dort oben herabstürzte, Hunderte von Metern im freien Fall. Sie malte sich aus, wie die kalte Luft an ihm vorüberzischte. Luft, die immer wärmer wurde, je näher die wirbelnde Wand des Erdbodens kam.
    Dann fiel ihr Blick wieder auf die abgedeckten Überreste des Mannes, der es gewagt hatte, von einer neuen Welt zu träumen, von einer rosigeren Zukunft.
    Willkommen in Amerika.
     
    Der Polizist vom Department Newton, der vor dem Haus postiert war, konnte noch nicht lange bei der Truppe sein, denn er erkannte Rizzoli nicht. Er hielt sie an der Grenze des abgesperrten Bereichs an, und der brüske Ton, in dem er sie anredete, passte genau zu seiner nagelneuen Uniform. Auf seinem Namensschild stand Ridge.
    »Hier dürfen Sie nicht durch, Ma’am – Spurensicherung.«
    »Ich bin Detective Rizzoli vom Boston P. D. Ich möchte zu Detective Korsak.«
    »Ihren Dienstausweis, bitte.«
    Mit dieser Aufforderung hatte sie nicht gerechnet; sie musste erst einmal in ihrer Handtasche nach dem Ausweis suchen. In der Bostoner City wusste so gut wie jeder Streifenbeamte, wer sie war. Aber sie musste nur ein paar Kilometer über die Grenze ihres Reviers hinaus in diesen wohlhabenden Vorort fahren, und schon war sie gezwungen, ihren Dienstausweis hervorzukramen. Sie hielt ihn dem jungen Mann direkt vor die Nase.
    Er warf einen Blick darauf und lief knallrot an. »Es tut mir wirklich Leid, Ma’am. Aber Sie müssen verstehen, gerade vor ein paar Minuten ist diese miese Reporterin hier aufgekreuzt, hat mich einfach niedergequatscht und ist an mir vorbeigestürmt – und ich habe mir geschworen, dass mir das nicht noch einmal passiert.«
    »Ist Korsak da drin?«
    »Ja, Ma’am.«
    Sie warf einen Blick auf die Fahrzeuge, die kreuz und quer am Straßenrand parkten; darunter war ein weißer Lieferwagen mit der Aufschrift Regierung von Massachusetts, Rechtsmedizinisches Institut auf der Seitentür.
    »Wie viele Opfer?«, fragte sie.
    »Eins. Sie sind wohl gleich so weit, dass sie ihn rausbringen können.«
    Der Streifenbeamte hob das Absperrband an, um sie in den Vorgarten zu lassen. Die Vögel zwitscherten, es duftete nach frischem Gras. Du bist nicht mehr in South Boston, dachte sie. Der Garten war hervorragend gepflegt, mit sauber gestutzten Buchsbaumhecken und einem Rasen, dessen leuchtendes Grün beinahe unecht wirkte. Auf dem mit Ziegeln gepflasterten Pfad blieb sie kurz stehen und blickte zum Dach mit seinen Giebeln und Türmchen in Tudor-Manier empor. Pseudoenglischer Landhausstil war die Bezeichnung, die ihr in den Sinn kam. Ein Haus – und überhaupt eine Wohnlage –, wie sie sich eine redliche Polizistin niemals würde leisten können.
    »Ziemlich noble Hütte, hm?«, rief Ridge ihr zu.
    »Was war dieser Mann von Beruf?«
    »So viel ich weiß, war er so eine Art Chirurg.«
    Chirurg. Für sie hatte dieses Wort eine ganz besondere Bedeutung, und sein Klang fuhr ihr wie eine eisige Nadel ins Herz. Der Hitze des Tages zum Trotz überlief sie ein Kälteschauer. Sie warf einen Blick auf die Haustür und sah, dass der Knauf ganz rußig von Fingerabdruck-Pulver war. Sie holte noch einmal tief Luft, streifte ein Paar Latexhandschuhe über und zog Überschuhe aus Papier an.
    Im Innern des Hauses sah sie glänzendes Eichenparkett und ein Treppenhaus, das an das Mittelschiff einer Kathedrale erinnerte. Durch ein Buntglasfenster fiel das Licht in farbig schimmernden Rhomben ein.
    Dann hörte sie das Rascheln von Papier-Überschuhen, und im nächsten Moment kam ein Bär von einem Mann in die Diele getappt. Er war durchaus korrekt gekleidet, mit Hemd und ordentlich geknoteter Krawatte, doch die Wirkung wurde durch die beiden ausgedehnten Schweißinseln unter seinen Achseln einigermaßen ruiniert. Seine hochgekrempelten Ärmel ließen muskulöse Arme mit einem dichten, struppigen Pelz aus dunklen Haaren erkennen. »Rizzoli?«, fragte er.
    »Richtig geraten.«
    Er kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu, doch dann fiel ihm ein, dass sie ja Handschuhe trug, und er ließ den Arm wieder sinken. »Vince Korsak. Tut mir Leid, dass ich am Telefon nicht mehr sagen konnte, aber heutzutage hat schließlich jeder Idiot eine Richtantenne. Eine Reporterin hat sich
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