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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister
Autoren: Tess Gerritsen
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Sarkasmus, aber in ihrer Stimme und in ihren Augen kann ich nichts dergleichen hören oder sehen.
    » Ich weiß, dass es da draußen noch andere geben muss, die so sind wie wir « , sage ich. » Die Schwierigkeit besteht darin, sie zu finden. Den Kontakt herzustellen. Wir alle suchen nach der Gesellschaft unserer Artgenossen. «
    » Sie tun so, als gehörten Sie einer eigenen Spezies an. «
    »Homo sapiens reptilis«, scherze ich.
    » Wie bitte! «
    » Ich habe gelesen, dass es eine Region in unserem Gehirn gibt, die auf unsere stammesgeschichtlichen Ursprünge als Reptilien zurückgeht. Sie steuert unsere primitivsten Funktionen. Kampf und Flucht. Paarung. Aggression. «
    » Ah, Sie meinen das Archipallium. «
    » Ja. Das Gehirn, das wir hatten, bevor wir zu zivilisierten menschlichen Wesen wurden. Es beherbergt keine Emotionen, kein Gewissen. Keine Moralvorstellungen. Es ist das, was Sie sehen, wenn Sie in die Augen einer Kobra blicken. Es ist auch der Teil unseres Gehirns, der unmittelbar auf olfaktorische Reize reagiert. Daher kommt es, dass Reptilien einen so feinen Geruchssinn haben. «
    » Das stimmt. Neurologisch gesehen ist unser olfaktorisches System eng mit dem Archipallium verbunden. «
    » Wussten Sie, dass ich schon immer einen sehr ausgeprägten Geruchssinn hatte! «
    Einen Moment lang sieht sie mich nur unverwandt an. Wieder einmal weiß sie nicht, ob ich wirklich meine, was ich sage, oder ob ich mir diese Theorie eigens für sie zurechtgelegt habe, weil sie Neuropsychiaterin ist und ich genau weiß, dass ich sie damit beeindrucken kann.
    Ihre nächste Frage verrät, dass sie beschlossen hat, mich ernst zu nehmen: » Hatte John Stark auch so einen ausgeprägten Geruchssinn! «
    » Ich weiß es nicht. « Mein Blick ist bohrend, » Jetzt, da er tot ist, werden wir es nie erfahren. «
    Sie fixiert mich wie eine zum Sprung bereite Katze. » Sie sehen wütend aus, Warren. «
    » Habe ich denn nicht allen Grund dazu! « Mein Blick fällt auf meinen nutzlosen Körper, der unbeweglich auf seiner Schaffellmatte liegt. Ich betrachte ihn schon gar nicht mehr als meinen Körper. Warum auch! Ich kann ihn nicht spüren. Es ist bloß ein Haufen Fleisch, der nichts mit mir zu tun hat.
    » Sie sind wütend auf diese Polizistin « , sagt sie.
    Eine so offensichtliche Feststellung verdient gar keine Antwort, und so gebe ich auch keine.
    Aber Dr. O’Donnell hat gelernt, Gefühle punktgenau zu lokalisieren, das Narbengewebe herunterzureißen und die blutige Stelle darunter bloßzulegen. Sie hat den Geruch von gärenden Emotionen gewittert, und nun kratzt, pflückt und bohrt sie eifrig an meiner Wunde herum.
    » Denken Sie immer noch an Detective Rizzoli? « , fragt sie.
    » Jeden Tag. «
    » Was sind das für Gedanken! «
    » Wollen Sie das wirklich wissen! «
    » Ich versuche Sie zu verstehen, Warren. Ich will wissen, was Sie denken, was Sie fühlen. Was Sie dazu bringt zu töten. «
    » Ich bin also immer noch Ihre kleine Laborratte. Ich bin nicht Ihr Freund. «
    Eine Pause. » Doch, ich kann Ihre Freundin sein … «
    » Aber das ist nicht der Grund, weshalb Sie zu mir kommen. «
    » Um ehrlich zu sein, ich komme wegen der Dinge, die ich von Ihnen lernen kann. Wir alle können von Ihnen lernen, was Menschen zu Mördern macht. « Sie beugt sich noch näher zu mir vor. Und sagt ganz leise: » Also erzählen Sie es mir. Teilen Sie Ihre Gedanken mit mir, so beunruhigend sie auch sein mögen. «
    Es ist lange still. Dann antworte ich ebenso leise: » Ich habe Tagträume … «
    » Was für Tagträume? «
    » Über Jane Rizzoli. Über das, was ich gerne mit ihr machen würde. «
    » Erzählen Sie es mir. «
    » Es sind keine angenehmen Tagträume. Ich bin sicher, Sie werden Sie abstoßend finden. «
    » Ich würde sie trotzdem gerne hören. «
    In ihren Augen ist ein merkwürdiges Leuchten, als würden sie von innen angestrahlt. Ihre Gesichtsmuskeln sind vor Erwartung angespannt. Sie hält den Atem an.
    Ich sehe sie an und denke: O ja, sie möchte gerne hören, was ich ihr zu sagen habe. Wie alle anderen auch will sie alles hören, jedes makabre Detail. Sie behauptet, ihr Interesse sei rein akademischer Natur; dass alles, was ich ihr sage, nur für ihre Forschung bestimmt sei. Aber ich sehe die lustvolle Neugier in ihren Augen aufblitzen. Ich wittere den Duft ihrer Erregung.
    Ich sehe, wie das Reptil sich in seinem Käfig regt.
    Sie will wissen, was ich weiß. Sie will in meine Welt eindringen. Sie ist endlich bereit für
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