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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister
Autoren: Rosendorfer Herbert
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zuständige Diözesanbischof verliehen, sondern der exilierte ukrainisch-katholische Bischof, mit dem Rohrdörfer in seinem sehr schönen Gründerzeitpfarrhaus hinter bunten, mit frommer Glasmalerei versehenen Butzenscheiben Karten spielte. »Werfen S’ die Champagnerflaschen weiter vorn in die öffentlichen Mülltonnen«, sagte Rohrdörfer zu seiner Haushälterin, »nicht in unsere, damit sich die Leut’ nicht das Maul zerreißen.« Der exilierte ukrainische Bischof, der da geistlich in fremdem Revier herumfuhrwerkte, war dem Diözesanbischof ein Dorn im Auge und Pfarrer Rohrdörfers sozusagen ukrainischer »Monsignore« erst recht. Aber blöderweise war Rohrdörfer bei einem Ad-limina-Besuch mit Pilgerfahrt des Bischofs nach Rom dabei, und Rohrdörfer fragte den Papst, ob das mit dem ukrainischen »Monsignore« in Ordnung sei, und der Papst, es war noch Paul VI ., sagte milde: »Ja, ja«, und da konnte der Bischof nicht gut mehr etwas sagen.
    Pluspunkte brachte es Rohrdörfer nicht bei seinem Vorgesetzten. Und dem Diözesanbischof gab es jedes Mal einen Stich, wenn er den violetten Stoß an der Knopfleiste von Rohrdörfers Soutane sah. 
    Auf dem einen Kästchen stand »evang.«, auf dem anderen »kath.«. Wenn eine Patientin oder ein Patient geistlichen Besuch wünschte, schrieb die Schwester einen Zettel mit Namen und Zimmernummer und warf ihn in das entsprechende Kästchen. Rohrdörfer und ebenso sein evangelischer Amtsbruder leerten das Kästchen, wenn sie zur geistlichen Visite kamen, ordneten die Zettel der Reihe nach und besuchten dann also die respektiven Patienten.
    Winter, der aufstrebende Oberregierungsrat (oder war er da schon Regierungsdirektor?), war evangelisch, weil Franke aus dem protestantischen Bier- oder Oberfranken (im Gegensatz zum katholischen Wein- oder Unterfranken) und lag in einem Einzelzimmer, freilich als Privatpatient, teilweise vergipst und geschient, und die Schwester hatte die Kästchen verwechselt; kommt vor, klar, und also kam zum Erstaunen Winters statt des evangelischen der katholische Geistliche zur Tür herein.
    Rohrdörfer, den ich später auf ganz anderem Wege kennenlernte, erzählte es mir in seiner etwas kantigen, alle Eitelkeiten abweisenden Art. Es sei ein harter Tag für ihn gewesen: drei Beerdigungen, zwei Taufen (oder umgekehrt? Ich weiß es nicht mehr.), eine Sitzung des Pfarrgemeinderats wegen der Renovierung der Heizung im Jugendzentrum, ärgerlicher Papierkram mit dem Ordinariat, mit dem Pfarrer Rohrdörfer stets im Clinch lag. Er wurde nur nicht strafversetzt, weil er beinhart beliebt war und es einen Aufstand gegeben hätte bei Rohrdörfers Pfarrkindern. Außerdem regnete es damals, und es schmerzte ihn das fehlende Bein.
    »Fehlendes Bein?« fragte Carlone in der Madonna .
    »Das weißt du nicht? Rohrdörfer hatte nur ein Bein, das linke, glaube ich, oder das rechte … ja, das war eine scheußliche Sache. Rohrdörfer stammte aus kleinen Verhältnissen. Sein Vater war Eisenbahner. Irgendein Rangiermeister oder so etwas. Nahm leichtsinnigerweise den Buben mit in die Arbeit, und der, na ja, hörte nicht auf die Vorsichtswarnungen des Vaters und geriet in die Drehscheibe, mit der die Dampflokomotiven herumgewendet werden oder wurden. Heute gibt es das wohl gar nicht mehr. Und die quetschte dem Buben das eine Bein ab.«
    »Darf mir das gar nicht vorstellen«, schüttelte sich Carlone.
    »Eine der Voraussetzungen der Priesterweihe ist körperliche Unversehrtheit. Rohrdörfer konnte also nur mit päpstlicher Dispens zum Priester geweiht werden. Geistige Unversehrtheit, dies nebenbei, ist keine Voraussetzung. Sonst hätte mancher, der ganz hoch in der Hierarchie sitzt, nie geweiht werden können. Dies nebenbei. Ich nenne keine Namen.«
    Also ein harter Tag. Winter sah dem Pfarrer die Erschöpfung an. »Ich habe zwar Ihren evangelischen – sagt man so? – Amtsbruder erwartet, aber setzen Sie sich doch einen Moment.«
    »Danke«, sagte Rohrdörfer, zog seinen Flachmann aus der hinteren Hosentasche, nahm einen Schluck Birnengeist, stutzte einen Moment, bevor er den Flachmann wieder zuschraubte …
    »Wollen S’ auch einen?«
    »Prost«, sagte Winter.
    Weniger als drei Wochen nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus konvertierte Winter zur katholischen Kirche.
    Es bleibt zu berichten, warum Winter im Krankenhaus lag, wieso sein Schlüsselbein und drei Rippen gebrochen waren und er Prellungen an der ganzen Seite hatte.
    »Wie ist denn das passiert?« fragte
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