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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister
Autoren: Rosendorfer Herbert
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weiß, daß es heute besser klingt. So wie man im Hygienemuseum mit Schaudern die alten medizinischen Zahnbrecherzangen anschaut …«
    »Grausam.«
    »Wie froh wäre ein Mozart gewesen um die exakt gestimmten Maschinenpauken. Zum Beispiel.«
    *
    Wenn man so will, war das dann der sechste Akt der Oper:
    Amtobel hatte die Zimmer derjenigen verteilt, die nicht in der Jugendherberge übernachteten. Um Mitternacht klopfte er an der Tür der schönen Helene Romberg. Aber die hatte das Zimmer mit Carlone getauscht. Amtobel sei, so Carlone später, in deutlich männlicher Erregung gewesen und habe einen mit kleinen violetten Hunden bedruckten Schlafanzug getragen.
    *
    »Ja«, sagte Carlone in der Madonna , »die schöne Helene Romberg.«
    »Ach ja«, sagte ich.
    Dann saßen wir eine Zeitlang da, ohne zu reden, dachten an unseren Teil der Erinnerungen an jene Helene Romberg, deren »Dinger« nie einen Büstenhalter gesehen haben. War Carlone in sie verliebt gewesen? War auch ich in sie verliebt gewesen? Ich glaube, wir alle waren in sie verliebt, der eine mehr, der andere weniger, der eine kürzere Zeit … der andere lebenslang, vielleicht. Keinem gelang es . So freizügig sie mit ihrem Anblick umging, so eisenfest war sie in dem, was man auch damals schon lange nicht mehr Tugend nannte.
    Sie war hochintelligent, enorm sprachbegabt, ihr eigentliches Fach war die Germanistik, und speziell in der Literatur der deutschen Romantik machte ihr niemand etwas vor; sie war sehr musikalisch, spielte Cello fast konzertreif, hätte es zur Konzertreife bringen können, wenn sie es darauf abgesehen hätte. Aber es genügte ihr, daß sie in ihrem Kammermusikkreis – dem mein Bruder als Bratscher angehörte, weshalb ich Gelegenheit hatte zuzuhören – bis zu den Streichquartetten von Brahms mit Anstand bestehen konnte.
    »Auch wenn sie nackt ist«, sagte sie, »ist eine intelligente Frau die schönere.« Sie machte gern Gebrauch davon. Spazierte nur mit rosa Sonnenhut und hochhackigen Zoccoli im Garten des Studentenheims herum, in dem Carlone damals wohnte. Sie ließ sich ohne weiteres so photographieren, stand einem Maler Modell, den Carlone kannte –
    »Wie hieß er?« fragte ich ihn in der Madonna .
    »Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ein Name mit B. Er pervertierte später zum Informal, aber eine Aktzeichnung, zu der die Romberg Modell gestanden hat, habe ich noch. Vielleicht ist das Blatt signiert. Ich müßte daheim nachschauen.«
    – aber, wie gesagt, eisenhart. Ich bin sicher, daß sie als Jungfrau in die Ehe ging.
    Sie hatte auf Lehrberuf studiert, machte ein exzellentes Examen, übte ihn aber nur kurze Zeit aus. Sie sagte: »Daß mir nicht ein noch exzellenteres Examen gelungen ist, liegt an meiner Naivität. Ich habe unter Aufbietung aller Augenkräfte die eigentlichen Texte gelesen: Die Kronenwächter von Arnim oder Stifters unsäglichen Witiko  – die Primärliteratur sozusagen, die andern haben die Sekundärliteratur auswendig gelernt und in der Prüfung heruntergeschnurrt.«
    Nach ein paar Jahren im Lehrdienst an einem Gymnasium heiratete sie einen gewissen Winter, mit Vornamen, glaube ich, Sigurd, Dr. jur. Das war längst nachdem der damalige Kreis um die Leute im Musikwissenschaftlichen Seminar zerfallen war, er hatte auch nie diesem Kreis angehört. Aber ich kannte ihn flüchtig von meiner Referendarzeit her. Er war einer der verbissenen Streber gewesen, von denen man erzählte, daß sie, wenn sie die Mühen des Tages hinter sich gebracht hatten, abends in den weichen Sessel sanken und genüßlich die Neue Juristische Wochenschrift zur Hand nehmen. Er brachte es auch »zu was«: Als er und die schöne Helene heirateten, war er schon Oberregierungsrat im Wirtschaftsministerium, kann auch sein Finanzministerium, stand jedenfalls kurz vor der Ernennung zum Regierungsdirektor … mit dem Aktmodellstehen war es da für die schöne Helene, nunmehr Winter, vorbei.
    Das Schicksal bediente sich im weiteren Verlauf des Lebens der schönen Helene erst zweier Pappkästchen und später des Katers Peterl des seinerzeit stadtbekannten Pfarrers und Monsignore Rohrdörfer. Dazu muß man weiter ausholen.
    Die zwei Pappkästchen standen in dem Glasverschlag am Eingang eines großen Krankenhauses. Pfarrer Rohrdörfer war der katholische Krankenhausgeistliche, weil das Krankenhaus zu der Pfarrei gehörte, die Rohrdörfer – Msgr. Rohrdörfer – betreute.
    »Monsignore« – diesen Titel hatte ihm nicht der eigentlich
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