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Der Medicus von Saragossa

Titel: Der Medicus von Saragossa
Autoren: Noah Gordon
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fast jeder Generation abgeschlachtet worden von einem Pöbel, der von der Kirche aktiv oder passiv unterstützt wurde.
    »Juden sind gefährlich und einflußreich, denn sie treiben gute Christen in den Zweifel« – so die eindringliche Ermahnung des Priesters, der Bernardo getauft hatte.
    Jahrhundertelang hatten Dominikaner und Franziskaner die unteren Schichten – die sie pueblo menudo, die »kleinen Leute«, nannten – aufgehetzt und sie zuzeiten in einen unversöhnlichen Judenhaß getrieben. Seit dem Gemetzel des Jahres 1391 – fünfzigtausend ermordete Juden – hatten in der einzigen Massenkonversion in der jüdischen Geschichte Hunderttausende von Juden Christus anerkannt, einige, um ihr Leben zu retten, andere, um in einer judenhassenden Gesellschaft Karriere machen zu können.
    Manche, wie Espina, hatten Jesus tatsächlich ihr Herz geöffnet, aber viele der nominellen Christen beteten weiterhin ihren Gott des Alten Testaments an, so viele, daß im Jahr 1478 Papst Sixtus IV. die Gründung der Heiligen Inquisition genehmigte, welche abtrünnige Christen aufstöbern und vernichten sollte.
    Espina hatte gehört, daß einige Juden die Konvertiten los marranos nannten, die Schweine, und davon überzeugt waren, daß sie auf ewig verdammt seien und zum Jüngsten Gericht nicht mehr auferstehen würden. Andere, Barmherzigere, nannten die Apostaten anusim, die Gezwungenen, und sie glaubten, daß Gott jenen, die unter Zwang gehandelt hatten, vergeben werde, weil er ihren Überlebenswillen verstehe.
    Espina gehörte nicht zu den Gezwungenen. Schon als kleiner Junge hatte ihn dieser Jesus fasziniert, wenn er durch die offenen Türen der Kathedrale einen Blick auf die Gestalt am Kreuz erhaschte, die sein Vater manchmal »den Hingerichteten« nannte. Als junger ärztlicher Lehrling, dem es ein Anliegen war, das Leid der Menschen zu lindern, war er empfänglich für das Leiden Christi, und sein anfängliches Interesse entwickelte sich mit der Zeit zu Überzeugung und zu brennendem Glauben und schließlich zu einer Sehnsucht nach persönlicher christlicher Reinheit, nach dem Stand der Gnade.
    Nachdem er sich Jesus erst einmal verschrieben hatte, verliebte er sich auch in den neuen Gott. Für ihn war das eine viel stärkere Liebe als die eines Menschen, der einfach ins Christentum hineingeboren worden war. Die Jesus-Leidenschaft eines Saulus von Tarsus hätte nicht stärker sein können als die seine; sie war unerschütterlich und sicher und verzehrender als jede Sehnsucht eines Mannes nach einer Frau.
    Seine Konversion zum Christentum hatte Bernardo Espina in seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr erbeten und erhalten, ein Jahr nach dem Abschluß seiner Ausbildung zum Arzt. Seine Familie hatte getrauert und das Kaddisch aufgesagt, als wäre er gestorben. Sein Vater Jakob, der ihn zuvor mit Stolz und Inbrunst geliebt hatte, war auf der plaza an ihm vorübergegangen, ohne seinen Gruß zu erwidern, als würde er ihn nicht kennen; zu dieser Zeit befand er sich bereits in seinem letzten Lebensjahr. Erst eine Woche nach der Beerdigung seines Vaters erfuhr Bernardo überhaupt, daß er gestorben war. Er hatte eine Novene für ihn gehalten, aber er hatte auch dem Verlangen nicht widerstehen können, das Kaddisch für ihn aufzusagen, und so weinte er alleine in seiner Schlafkammer, während er ohne die tröstende Anwesenheit des Minjan das Totengebet rezitierte.
    Wohlhabende oder erfolgreiche Konvertiten wurden vom Adel und der Mittelklasse akzeptiert und heirateten in alte Christenfamilien ein. Und auch Bernardo Espina hatte sich mit einer Christin vermählt, mit Estrella de Aranda, der Tochter einer adligen Familie. In der Euphorie, die diese Aufnahme in die Familie und seine neue religiöse Verzückung mit sich brachten, hatte er – gegen besseres Wissen – gehofft, daß seine Glaubensbrüder ihn als »vollendeten Juden«, der ihren Messias angenommen hatte, akzeptieren würden, aber er war auch nicht überrascht, als sie ihn weiterhin als Hebräer verspotteten.
    Bereits als Espinas Vater noch ein junger Mann war, hatte der Magistrat von Toledo einen Erlaß veröffentlicht:
    Wir erklären hiermit, daß die sogenannten conversos, Nachkommen verderbter jüdischer Ahnen, von Rechts wegen für niederträchtig und gemein erachtet werden müssen, für ungeeignet und unwürdig, innerhalb der Grenzen der Stadt Toledo und seiner Gerichtsbarkeit ein öffentliches Amt zu bekleiden oder ein Lehen zu erhalten oder Eide oder Urkunden zu
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