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Der Medicus von Saragossa

Titel: Der Medicus von Saragossa
Autoren: Noah Gordon
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nach jedem der großen Kreuzzüge Ritter und Soldaten aus aller Herren Länder durch Spanien gezogen seien. Jedesmal hätten sie vor ihrer Heimkehr das Land aller heiligen Reliquien beraubt, hätten die Knochen von Märtyrern und Heiligen ausgegraben und aus Kirchen und Kathedralen an ihrem Weg Reliquien fortgeschafft, fast wie es ihnen beliebte. Und dann hatte der Onkel Kardinal Lancol behutsam zu verstehen gegeben, daß er sich der tiefen Bewunderung ganz Kastiliens sicher sein könne, wenn er nur dem spanischen Priester, der ihrer beider angeheirateter Verwandter sei, eine Reliquie sandte.
    Sebastian wußte, daß jetzt die Sache von Gott und seinen ernannten Dienern in Rom entschieden würde.
    Die Tage vergingen langsam für ihn. Anfangs waren seine Hoffnungen noch kühn; er schwelgte in der Vorstellung, eine Reliquie zu erhalten, die die Macht hatte, christliche Gebete zu erhören, und die gnädige Barmherzigkeit, die Leidenden zu heilen. Solch eine Reliquie würde Gläubige und Spenden von weither anlokken. Aus der kleinen Abtei würde ein großes und blühendes Kloster werden, und der Prior würde...
    Doch als aus den Tagen Wochen und Monate wurden, verblaßten solche Träume mehr und mehr. Er hatte schon beinahe alle Hoffnung aufgegeben, als man ihn eines Tages an den Toledaner Bischofssitz bestellte. Gerade war die Kuriertasche aus Rom, die zweimal jährlich nach Toledo geschickt wurde, eingetroffen, und neben anderen Dingen enthielt sie auch eine versiegelte Botschaft für Padre Sebastian Alvarez von der Abtei zur Himmelfahrt Mariä.
    Es war sehr ungewöhnlich, daß ein unbedeutender Pfarrer vom Heiligen Stuhl ein versiegeltes Paket erhielt. Weihbischof Guillermo Ramero, der es Sebastian aushändigte, war voller Neugier und wartete ungeduldig darauf, daß der Prior es öffnete, so wie es einem gehorsamen Priester geziemte. Er wurde sehr wütend, als Padre Alvarez das Paket nur entgegennahm und davoneilte.
    Erst als Sebastian allein in der Abtei war, erbrach er mit zitternden Fingern das Wachssiegel.
    Das Paket enthielt ein Dokument mit dem Titel Translatio Sanctae Annae, und als Padre Sebastian auf einen Stuhl sank und ehrfurchtsstarr zu lesen begann, dämmerte ihm, daß es sich um die Geschichte der sterblichen Überreste der Mutter Unserer Heiligen Jungfrau handelte.
    Die Mutter der Jungfrau, Anna die Jüdin, Frau des Joachim, war in Nazareth gestorben und dort begraben worden. Sie wurde von den Christen schon früh verehrt. Bald nach ihrem Tod brachen zwei ihrer Basen, beide mit dem Namen Maria, und ein entfernterer Verwandter namens Maximin aus dem Heiligen Lande auf, um in der Fremde die Botschaft Christi zu verkünden. Besondere Weihe erhielt ihre Mission durch das Geschenk einer hölzernen Truhe mit einer Anzahl Reliquien der Mutter der Heiligen Jungfrau. Die drei überquerten das Mittelmeer und landeten in Marseille, wo die beiden Frauen sich in einem nahen Fischerdorf niederließen, um Bekehrungswillige zu suchen. Da die Gegend häufig überfallen wurde, betrauten sie Maximin mit der Aufgabe, die heiligen Gebeine an einen sicheren Ort zu bringen, und er reiste weiter bis in die Stadt Apt, wo er sie in einen Schrein legte.
    Die Knochen blieben viele hundert Jahre in Apt. Doch dann, im achten Jahrhundert, trat eines Tages ein Mann vor den Schrein, den seine Soldaten Carolus Magnus nannten – Karl der Große also, der König der Franken -, und er las mit Verblüffung die Inschrift: Hier ruhen die sterblichen Überreste der heiligen Anna, der Mutter der glorreichen Jungfrau Maria.
    Der kriegerische König nahm die Knochen aus ihrem vermoderten Leichentuch, und als er dies tat, spürte er die Gegenwart Gottes und wurde sich staunend bewußt, daß er etwas in den Händen hielt, was ihn direkt mit Jesus Christus verband.
    Einige der Reliquien schenkte er seinen engsten Freunden und nahm sich auch selbst ein paar, die er nach Aachen schickte. Er ließ ein Verzeichnis der Gebeine anfertigen und sandte eine Abschrift an den Papst. Den verbliebenen Rest der Reliquien ließ er in der Obhut des Bischofs von Apt und seiner Nachfolger.
    Im Jahre des Herrn 800, als Carolus Magnus, der sein militärisches Genie unter Beweis gestellt und innerhalb weniger Dekaden ganz Westeuropa erobert hatte, zum Römischen Kaiser Karl I. gekrönt wurde, prangte die gestickte Gestalt der heiligen Anna auf seinem Krönungsornat.
    Der Rest der Reliquien dieser Heiligen war zu diesem Zeitpunkt längst aus dem Grab in Nazareth entfernt
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