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Der Medicus von Saragossa

Titel: Der Medicus von Saragossa
Autoren: Noah Gordon
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worden. Der Großteil war an Kirchen in verschiedenen Ländern gegangen, während drei Knochen in die Obhut des Heiligen Stuhls gelangt waren und mehr als ein Jahrhundert lang in den Katakomben Roms geruht hatten. Im Jahre 830 plünderte ein Reliquiendieb namens Dúesdona, ein Diakon der römischen Kirche, die Katakomben, um zwei deutsche Klöster, Fulda und Mannheim, mit Reliquien beliefern zu können. Er verkaufte unter anderem die Überreste der Heiligen Sebastian, Fabian, Alexander, Emmerentia, Felicitas, Felicitissimus und Urban, doch irgendwie übersah er bei seinem Raubzug die drei Knochen der heiligen Anna. Als die kirchlichen Behörden die böse Tat entdeckten, brachten sie Santa Anas Knochen in einen Lagerraum, wo sie jahrhundertelang Staub ansetzten.
    Padre Sebastian erhielt nun die Nachricht, daß eine dieser drei kostbaren Reliquien an ihn gesandt werden würde.
    Vierundzwanzig Stunden brachte er kniend in der Kapelle mit Dankgebeten zu, von einer Morgenandacht zur nächsten ohne Essen und Trinken. Als er dann versuchte, wieder aufzustehen, hatte er kein Gefühl mehr in den Beinen und wurde von besorgten Mönchen in seine Zelle getragen. Aber schließlich schenkte Gott ihm neue Kraft, und er brachte die Translatio zu Juan Antonio und Garci Borgia. Von Ehrfurcht und Staunen erfüllt, waren sie bereit, die Kosten für ein Reliquiar zu übernehmen, in dem das Fragment aufbewahrt werden konnte, bis ein angemessener Schrein errichtet war. Sie zerbrachen sich den Kopf, welcher berühmte Handwerker mit dieser Aufgabe betraut werden sollte, und schließlich schlug Juan Antonio vor, Sebastian solle den Auftrag für das Reliquiar an Helkias Toledano vergeben, einen jüdischen Silberschmied, der mit seinen einfallsreichen Entwürfen und seinem großen handwerklichen Können schon viel Anerkennung gefunden hatte.
    Der Silberschmied und Sebastian hatten sich wegen der Gestaltung des Reliquiars und wegen des Preises besprochen und waren zu einer Übereinkunft gelangt. Dabei kam dem Priester der Gedanke, wie schön es doch wäre, wenn er die Seele dieses Juden für Christus gewinnen könnte, quasi als Ergebnis dieser Arbeit, die der Herr notwendig gemacht hatte.
    Die Entwurfszeichnungen, die Helkias angefertigt hatte, zeigten, daß er sowohl Künstler als auch Handwerker war. Die Kelchschale, der quadratische Sockel und der Deckel sollten aus Blattund Massivsilber bestehen. Helkias schlug vor, die Figuren von zwei Frauen in Silberfiligran zu gestalten. Nur die Rücken sollten zu sehen sein, anmutig und deutlich weiblich, Anna zur Linken, ihre Tochter Maria noch nicht ganz erwachsen, aber erkennbar an einem Heiligenschein um ihren Kopf. Verzieren wollte Helkias das Ziborium mit einer Fülle von Pflanzen, mit denen Anna vertraut gewesen sein dürfte: Weintrauben und Oliven, Granatäpfel und Datteln, Feigen und Weizen, Gerste und Dinkel. Auf der ge- genüberliegenden Seite des Grals – als Vorahnung des Künftigen, von den Frauen so weit entfernt wie die Zukunft – wollte Helkias in massivem Silber das Kreuz gestalten, das erst nach Annas Lebzeiten zum christlichen Symbol werden sollte. Das Jesuskind sollte am Fuß des Kreuzes in Gold prangen.
    Padre Sebastian hatte befürchtet, daß die beiden Spender ihre Zustimmung zu dem Entwurf hinauszögern würden, weil sie ihre eigenen Ideen berücksichtigt sehen wollten, doch zu seiner Freude zeigten sich sowohl Juan Antonio als auch Garci Borgia höchst beeindruckt von Helkias' Zeichnungen.
    Innerhalb weniger Wochen wurde ihm klar, daß das bevorstehende Glück der Abtei kein Geheimnis mehr war. Irgend jemand – Juan Antonio, Garci Borgia oder der Jude – hatte mit der Reliquie geprahlt. Vielleicht hatte auch jemand in Rom unklug geplaudert; manchmal war die Kirche ein Dorf.
    Mitglieder der religiösen Gemeinde Toledos, die Sebastian bis dahin nie Beachtung geschenkt hatten, starrten ihn jetzt an, doch er merkte, daß Feindseligkeit in ihren Blicken lag. Eines Tages besuchte sogar Weihbischof Guillermo Ramero die Abtei und inspizierte Kapelle, Küche und Mönchszellen.
    »Die Eucharistie ist der Leib Christi«, belehrte er Sebastian. »Welche Reliquie kann mächtiger sein als diese?«
    »Keine, Euer Exzellenz«, erwiderte Sebastian bescheiden.
    »Wenn Toledo eine Reliquie der Heiligen Familie zum Geschenk erhält, dann sollte das Bistum sie besitzen und nicht eine ihm untergeordnete Einrichtung«, sagte der Bischof.
    Diesmal erwiderte Sebastian nichts, sondern erwiderte
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