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Der Medicus von Saragossa

Titel: Der Medicus von Saragossa
Autoren: Noah Gordon
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offen und ohne die vorherige Bescheidenheit Rameros Blick, und der Bischof schnaubte vor Wut und schritt mit seinem Gefolge davon.
    Bevor Padre Sebastian sich dazu durchringen konnte, Fray Julio diese bedeutsame Nachricht mitzuteilen, hatte der Mesner der Kapelle es bereits von einem Vetter erfahren, der Priester im Offizium für Glaubensangelegenheiten der Diözese war. Bald war es für Sebastian offensichtlich, daß jeder Bescheid wußte, seine eigenen Mönche und Novizen eingeschlossen.
    Fray Julios Vetter berichtete, daß die verschiedenen Orden prompt und heftig auf die Nachricht reagiert hätten. Sowohl Franziskaner als auch Benediktiner hatten deutlich formulierte Protestnoten nach Rom geschickt. Die Zisterzienser, bei denen die Verehrung der Jungfrau im Mittelpunkt stand, waren wütend darüber, daß eine Reliquie der Mutter Mariä an eine kleine Abtei der Hieronymiten ging, und hatten sich einen Advokaten besorgt, der ihren Fall in Rom vortrug.
    Selbst innerhalb des Hieronymiten-Ordens wurden Stimmen laut, daß eine so kostbare Reliquie nicht an eine so unbedeutende Priorei gehen solle.
    Padre Sebastian und Fray Julio war klar, daß die Abtei in eine sehr gefährliche Lage geraten würde, falls irgend etwas die Lieferung der Reliquie verhindern sollte, und die beiden verbrachten viele Stunden kniend im gemeinsamen Gebet.
    Doch schließlich kam an einem warmen Sommertag ein großer, bärtiger Mann in der ärmlichen Kleidung eines peón in die Abtei zur Himmelfahrt Mariä. Bei seinem Eintreffen wurde eben die sopa boba ausgegeben, die er so begierig wie die anderen hungrigen Bedürftigen annahm. Als er den letzten Tropfen der dünnen Brühe getrunken hatte, fragte er namentlich nach Padre Sebastian, und als die beiden allein waren, stellte er sich als Padre Tullio Brea vom Heiligen Stuhl in Rom vor und übermittelte ihm die Grüße Seiner Eminenz Rodrigo Kardinal Lancol. Dann zog er aus seiner zerlumpten Tasche ein hölzernes Kästchen. Als er es öffnete, fand Padre Sebastian darin ein stark parfümiertes Tuch aus blutroter Seide, und darin eingewickelt lag das lang erwartete Knochenstück, das eine so weite Reise hinter sich hatte. Der italienische Priester blieb gerade so lange, um die freudigste und dankbarste Vesper mitzuerleben, die man in der Abtei zur Himmelfahrt Mariä je gefeiert hatte. Das Abendgebet war kaum vorüber, als Padre Tullio, so unauffällig wie er gekommen war, wieder abreiste und in die Nacht davonritt.
    In der nun folgenden Zeit dachte Padre Sebastian mit Wehmut daran, wie sorgenfrei der Dienst an Gott sein mußte, wenn man in Verkleidung die Welt durchwanderte. Er bewunderte den Scharfsinn der Entscheidung, ein so kostbares Gut mit einem einzelnen und unauffälligen Boten zu schicken, und übermittelte dem Juden Helkias den Vorschlag, das Reliquiar nach seiner Fertigstellung ebenfalls von einem einzelnen Träger und erst nach Einbruch der Dunkelheit liefern zu lassen.
    Helkias war damit einverstanden, und er schickte seinen Sohn aus, wie Gott es einst getan hatte und, wie man nun wußte, mit dem gleichen Ergebnis. Der tote Junge war Jude und konnte deshalb nie ins Paradies kommen, aber Padre Sebastian betete dennoch für seine Seele. Der Raubmord zeigte ihm, wie belauert die Beschützer der Reliquie waren, und so betete er auch für den Erfolg des Arztes, den er ausgeschickt hatte, um Gottes Werk zu verrichten.

3. Ein christlicher Jude
    D er Padre Prior war das gefährlichste aller menschlichen Wesen, denn er war ein weiser Mann und ein Narr zugleich, dachte Bernardo niedergeschlagen, als er davonritt. Bernardo Espina wußte, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach weder von Juden noch von Christen etwas erfahren würde, denn er wurde von den Anhängern beider Religionen verachtet.
    Zu gut kannte er auch die Geschichte seiner eigenen Familie. Der Legende nach war der Vorfahr, der sich als erster in Spanien niedergelassen hatte, ein Priester im Tempel Salomos gewesen. Die Espinas hatten die westgotischen Könige und die wechselnden maurischen und christlichen Eroberer überlebt und sich immer genau an die Gesetze der Monarchie und der Nation gehalten, wie es ihre Rabbis vorschrieben.
    Juden waren bis in die höchsten Ränge der spanischen Gesellschaft aufgestiegen. Sie hatten den Königen als Wesire gedient, und sie waren reich geworden als Ärzte und Diplomaten, Geldverleiher und Finanziers, Steuereintreiber und Händler, Gutsbesitzer und Handwerker. Und doch waren spanische Juden in
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