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Der Medicus von Saragossa

Titel: Der Medicus von Saragossa
Autoren: Noah Gordon
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den Räumen wieder, die er bereits durchsucht hatte.
    In dem Lagerraum stand er vor dem großen steinernen Sarg, einer Ruhestätte, die eines Prinzen würdig gewesen wäre, und las noch einmal die eingemeißelte Inschrift.
    CVM MATRE MATRIS SAVVS.
    Er verstand so gut wie kein Latein, aber auf dem Weg zum Krankenzimmer traf er den Verwalter, der einige Arbeiter bei der Ausbesserung des Geländers der großen Treppe überwachte.
    »Padre Guzmán«, sagte er. »Beherrscht Ihr das Lateinische?« »Natürlich«, erwiderte Padre Guzmán eingebildet. »Die Inschrift auf dem Steinsarg für den Grafen. Cum matre matris salvus. Was bedeutet das?«
    »Daß er nach dem Tod in alle Ewigkeit bei der Jungfrau Maria sein wird«, antwortete Padre Guzmán.
    Aber warum konnte Jona dann in dieser Nacht nicht schlafen? Früh am nächsten Morgen, als ein heftiger Frühlingsregen ge gen die dünne Alabasterscheibe des Fensters trommelte, stand er auf, nahm eine Fackel aus dem Halter und ging damit in den Lagerraum, wo er sie in die Höhe hielt, um den Sarg bei ihrem flackernden Schein noch einmal zu betrachten.
    Als Padre Sebbo am späten Vormittag im Krankenzimmer erschien, erwartete Jona ihn bereits ungeduldig. »Padre, wie gut beherrscht Ihr das Lateinische?«
    Padre Sebbo grinste. »Es ist mir eine lebenslange Verführung zur Sünde des Stolzes.«
    »Cum matre matris salvus.«
    Das Lächeln des Priesters verschwand. »Ts, ts«, machte er unwirsch.
    »Was bedeutet es?«
    »Wo habt Ihr denn diesen... Spruch her?«
    »Padre, wir beide kennen einander noch nicht sehr lange. Aber Ihr müßt selbst wissen, ob Ihr mir trauen könnt.«
    Sebbo sah ihn an und seufzte. »Ich kann. Ich muß. Es bedeutet: ›Sicher bei der Mutter der Mutter.‹«
    Jona sah, daß die Röte aus dem Gesicht des alten Priesters gewichen war. »Ich weiß, wonach Ihr seit so vielen Jahren sucht, Padre Sebastian, und ich glaube, wir haben es gefunden.« Zu zweit untersuchten sie sorgfältig den Sarg. Der mächtige Steindeckel, der am Kopfende des Sarges an der Wand lehnte, bestand aus einem Stück, ebenso wie der Boden des steinernen Behältnisses und drei der Seitenwände.
    »Aber schaut hier«, sagte Jona. Die vierte Seitenwand war anders, stärker als die gegenüberliegende. Die Platte mit der lateinischen Inschrift war in den oberen Rand dieser Wand eingelassen.
    Jona klopfte darauf, damit Padre Sebbo hören konnte, daß sich darunter ein Hohlraum befand. »Wir müssen die Platte entfernen.«
    Der Priester stimmte ihm zu, riet aber zur Vorsicht. »Der Lagerraum liegt zu nahe an den Schlafgemächern. Und nicht weit vom Speisesaal entfernt. Zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten kommen hier Leute vorbei, und die Soldaten der Wache sind schnell gerufen. Wir müssen warten, bis die anderen in der Burg abgelenkt sind.«
    Doch die Ereignisse raubten ihnen den Luxus des Wartens, denn sehr früh am nächsten Morgen riß die Dienerin, die an Vascas Bett gewacht hatte, Jona aus dem Schlaf. Der Graf wurde von Krämpfen und Würgereiz geschüttelt. Sein Gesicht war noch schlimmer verzerrt, und die Augen befanden sich nicht mehr auf einer Ebene, das linke hing tiefer als das rechte. Der Puls war voll und schnell, sein Atem kam langsam und röchelnd. Jona hörte ein rasselndes Geräusch, das, wie er sofort erkannte, das Ende ankündigte.
    »Holt schnell die Condesa und die Priester«, befahl er der Frau.
    Die Condesa und die Priester trafen gemeinsam ein, die Gemahlin des Sterbenden aufgelöst und stumm den Rosenkranz betend, Padre Guzmán in seinem Todesgewand – purpurfarbene Soutane und Chorhemd – und so hastig herbeistürzend, daß Padre Sebbo dem jüngeren Priester noch die Stola um den Hals zurechtrückte, als sie zur Tür hereintraten.
    Der Graf, dessen Augen jetzt hervortraten, lag in den letzten Zügen; sein Aussehen erinnerte Jona an Hippokrates' Beschreibung des nahenden Todes: »Die Nase spitz, die Schläfen eingefallen, die Ohren kalt und blutleer und verdreht, die Haut des Gesichts hart, gespannt und trocken, die Farbe des Antlitzes schwärzlich.«
    Padre Sebbo öffnete das Goldfläschchen mit dem Salböl. Er benetzte Vater Guzmans rechten Daumen mit dem Chrisma, und der Priester salbte Augen, Ohren, Hände und Füße des Grafen. Schwer hing der Duft des Balsams im Zimmer, als der vierzehnte und letzte Graf von Tembleque zum letzten Mal ausatmete, ein langes, ersticktes Seufzen.
    »Er ist aller Sünden ledig«, sagte Padre Guzmán, »und tritt nun vor unseren
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