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Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Titel: Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief
Autoren: Javier Tomeo
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vielmehr die Haltung eines Mannes an, der nichts zu fürchten hat und nicht einmal den Verdacht hegt, er könnte Opfer eines Angriffs werden. Sie könnten sogar aus vollem Halse singen. Wenn dieser mögliche Feind dann – und so wie die Dinge sich entwickelt haben, sind alle Unbekannten potentielle Feinde –, wenn dieser mögliche Feind also auf Ihrer Höhe angelangt ist, bleiben Sie stehen, hören zu singen auf, kreuzen die Arme und schauen ihm unverwandt direkt in die Augen. Sprechen Sie nicht als erster. Warten Sie ab, daß der andere es tut. Vergessen Sie nicht, daß Sie sich letztendlich immer noch auf den Ländereien Ihres Herrn befinden und dieser Umstand Ihnen eine gewisse Autorität verleiht. Stellen wir uns sodann vor, daß diese finstere Person, nachdem sie Ihnen zweideutig einen Guten Tag gewünscht hat – was nichts zu sagen hat –, den Blick zum Himmel hebt und sagt, daß die Wolken Regen ankündigen. In diesem Fall wissen Sie bereits, woran Sie sind. »Sie vergeuden jämmerlich Ihre Zeit«, können Sie ihm antworten. »Sie müssen nämlich wissen, mein Freund, daß ich keinerlei Brief bei mir trage, und trüge ich einen bei mir, so würde es Ihnen nicht gelingen, ihn mir zu entreißen.« Vielleicht wird der Wanderer bei diesen Worten die Achseln zucken und große Augen machen, als wüßte er nicht, wovon Sie reden. Sie lassen sich jedoch nicht täuschen, denn diese Leute sind Meister der Verstellung. Bestehen Sie darauf, daß Sie keinerlei Botschaft mit sich führen, und während Sie ihm das erklären, tätscheln Sie vielsagend den Knauf des Regenschirms. Wenn Sie zeigen, wie sicher Sie sich ihrer Kräfte sind, wird der Unbekannte, nachdem er einige Worte der Entschuldigung gestammelt hat, kehrtmachen und mit eingekniffenem Schwanz abziehen. Damit will ich nicht sagen, daß er endgültig auf den Angriff verzichtet, wohl aber, daß er eine günstigere Gelegenheit abwarten wird, um ihn auszuführen. Er kann zum Beispiel warten, bis Sie sich in das Ulmenwäldchen begeben. Ich sagte Ihnen ja soeben, daß dies der gefährlichste Teil des Weges ist. Fünfhundert Meter, auf denen die Gefahr besteht, daß jemand plötzlich zwischen den Bäumen auftaucht und Ihnen unversehens den Weg verstellt. Der Wald ist nicht dicht, jedoch dicht genug, um einen Hinterhalt zu ermöglichen. Man kann Sie beim Kragen packen, bevor Sie Zeit haben, auch nur das Gesicht des Angreifers zu sehen. Seien Sie also besonders auf der Hut, und wenn Sie an den Grenzrain kommen, dann treiben Sie Ihre Vorsichtsmaßnahmen auf die Spitze. Machen Sie keinen Schritt vorwärts, ohne sich vorher abzusichern. Halten Sie den Atem an, und schärfen Sie das Gehör. Erschrecken Sie jedoch vor nichts, denn die Wälder sind voller Geraune. Weder Sie noch sonst jemand kann den Insekten, unseren bewundernswerten Brüdern, verbieten, weiter ihre Antennen zu bewegen und ihre geschlossenen Flügel in Sonne und Wind zu entfalten. Nicht sie sind Schuld an unseren Verdrießlichkeiten. Denken Sie obendrein daran, daß schon ein einfaches Blatt, das sich vom Zweig löst, das Herz des Verzagten zu erschrecken vermag. Es leben auch Tiere im Wald, denen wir nicht das Recht absprechen können, sich zu bewegen, nur damit die Menschen, weil es ihnen gerade so paßt, in tiefstem Schweigen durch den Wald gehen können. Die Vögel singen, die Schlangen kriechen, und die Kaninchen lassen das Laubwerk rascheln. So ist es gewesen, und so wird es in alle Ewigkeit sein. Können wir denn, und sei es durch Königliches Dekret, bestimmen, daß diese Geschöpfe auf ihre althergebrachten Bewegungen verzichten? Es bleibt Ihnen also keine andere Wahl als zu versuchen, die verdächtigen Geräusche von den unverdächtigen zu unterscheiden. Es liegt zum Beispiel auf der Hand, daß Sie, wenn Sie schallendes Gelächter hören, mit äußerster Vorsicht vorgehen müssen, denn, von Hyänen abgesehen, ist noch kein Tier bekannt, das imstande wäre, zu lachen. Das Lachen, Bautista, ist eine ausschließlich menschliche Angelegenheit. Bleiben Sie daher, kaum daß es an Ihre Ohren dringt, stehen, und versuchen Sie herauszufinden, woher die Lachsalven kommen. Werfen Sie sich zu Boden und robben Sie bis zu jener Stelle. Rücken Sie mit Hilfe der Ellenbogen Zentimeter um Zentimeter vor. Es kann sein, daß das Gelächter von unseren Feinden kommt, die die Dummheit begehen, unsere Niederlage im voraus zu feiern. Es kann aber auch sein, daß die Lacher einfache Holzhauer sind. Suchen Sie sich einen
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