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Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Titel: Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief
Autoren: Javier Tomeo
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Alles, was folgt – ein einziges Kauderwelsch. Er glaubt, daß es seine Schuld ist – unwissende Menschen zweifeln zunächst immer an sich selbst –, und eine Stunde lang bemüht er sich angestrengt, den ersehnten Entschuldigungssatz in dem Brief ausfindig zu machen. Schließlich gibt er auf. Seine Zähne schlagen aufeinander. Jetzt sieht er alles ganz klar. Das kalligraphische Chaos, so denkt er, hat nur einen Zweck: ihn noch mehr zu demütigen. Der alte Affront – denn jetzt erinnere ich mich, daß es tatsächlich einmal eine Frauengeschichte zwischen uns gegeben hat – wird wieder lebendig, verstärkt durch zwanzig Jahre Schweigen. Er erbleicht vor Wut. Er gerät in Zorn. Er ballt die Fäuste und verflucht meine Seele. Er ruft seine Diener und befiehlt ihnen, Sie zu verprügeln. Vielleicht wird er Sie aber auch am Kragen packen und sich lieber durch eigene Hand Genugtuung verschaffen. Denn Sie sind, wie ich schon sagte, der unselige Briefträger, und wo es kein Brot gibt, nimmt man den Kuchen. Ob er in dieser Weise reagiert oder aber beschließt, sich nichts anmerken zu lassen und einen Text zu erfinden, wie wir bereits in Betracht gezogen haben, ist mir völlig schnuppe. Das ist einzig und allein Ihr Problem. Was ich jedoch nicht ertragen könnte, ist, daß er sich plötzlich und unerwartet mit der Dunkelheit des Briefes abfindet und eine halb verächtliche, halb mitleidige Haltung dem gegenüber einnimmt, was für mich letztendlich eine Geste guten Willens ist. Denn mein Brief, Bautista – ich erinnere mich jetzt nicht, ob ich Ihnen das schon gesagt habe, wenn nicht, dann sage ich es Ihnen jetzt – ist vor allem der Versuch eines Dialoges, und der Versuch eines Dialoges ist immer die Möglichkeit einer Liebe. Aber fahren wir fort. Stellen wir uns vor, daß Don Demetrio, nachdem er einen raschen Blick auf den Brief geworfen hat, traurig den Kopf schüttelt. »Nach dem, was ich sehe«, sagt er mit seiner fürchterlichen, näselnden Stimme, »ist Ihr Herr, der Marquis von Q., ein hoffnungsloser Fall. Er ist genauso exzentrisch wie eh und je. Wäscht er sich immer noch die Füße mit französischem Champagner?« Jetzt möchte ich Sie sehen, Bautista. Enttäuschen Sie midi nicht. Wenn der Herr Graf Ihnen gegenüber diese Bemerkung macht, dann erlaube ich Ihnen, daß Sie energisch reagieren. Verlieren Sie nicht den Anstand, aber beißen Sie sich auch nicht auf die Zunge. Versichern Sie ihm, daß ich nicht verrückt bin. Sagen Sie ihm, daß meine einstigen Extravaganzen – denn ich gebe zu, daß ich mir mehr als einmal die Füße in französischem Champagner gewaschen habe – dazu dienten, mir jetzt die Vorzüge eines durch Genügsamkeit und innere Versenkung geheiligten Lebens vor Augen zu führen. »Herr Graf«, können Sie ihm erwidern, »Sie irren sich kläglich, wenn Sie meinen, daß mein Herr immer noch der ist, der mit Ihnen so viele Nächte voll Wein und Rosen teilte. Sie irren sich, wenn Sie meinen, daß er derselbe ist, der Ihre beiden Schwestern verführte und beinahe mit Ihrer Gattin, Dona Beatriz, durchgebrannt wäre, als das Aufgebot für Sie bereits bestellt war. Mein Herr ist heute ein anderer Mensch. Ein Mensch, der entschlossen ist, die Zuneigung und Achtung aller wiederzugewinnen. Wenn er auch gewiß gesündigt hat, so war seine Buße doch groß und befreit ihn von jeder Schuld. Beachten Sie überdies die Farbe dieses Anzugs. Und diese beiden Frösche. Er war es, der mir auftrug, sie mir in die Tasche zu stecken, erinnert er sich doch sehr gut, daß Sie eine Leidenschaft für die Farbe Grün haben. Erscheint Ihnen dies nicht als ein Beweis guten Willens?« Ich glaube, wenn Sie ihm das auseinandersetzen, wird der Herr Graf beginnen, Sie mit anderen Augen zu sehen. Beharrt er jedoch trotz allem auf meiner Verrücktheit, dann bitte ich Sie dringlichst – wohlgemerkt, ich sage dringlichst, vom Verbum dringen –, daß Sie noch unnachgiebiger in Ihrer Haltung werden. Ich erlaube Ihnen sogar, die Arme zu kreuzen und die Miene eines Mannes aufzusetzen, der Erklärungen nicht so sehr gibt, als daß er sie fordert. »Na schön«, können Sie ihm sagen, »mein Herr hat Sie vor zwanzig Jahren zutiefst enttäuscht. Und er hat auch alle anderen enttäuscht, die in irgendeiner Weise so unvorsichtig waren, ihm zu vertrauen. Das Spiel beruhte jedoch auf Gegenseitigkeit, bedenken Sie das. Denn wenn mein Herr Sie alle enttäuscht hat, so haben Sie alle auch ihn enttäuscht. Wir leben in einer Welt
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