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Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Titel: Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief
Autoren: Javier Tomeo
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Person. Er weiß um das Risiko, das er eingeht, wenn er seine Gattin mit Ihnen allein läßt, doch erwartet er sich vom Besuch des Erzherzogs hohe Pfründe und zögert daher nicht, dieses Risiko einzugehen. Mit anderen Worten, er zieht es, trotz seiner schon tausendfach bewiesenen Eifersucht, vor, einen fulminanten Ehebruch heraufzubeschwören, anstatt die Gelegenheit Vorbeigehen zu lassen, ein ausgezeichnetes Geschäft abzuschließen. Er verläßt das Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Gut. Jetzt sind Sie allein, eingehüllt in ein peinliches Schweigen. Die Initiative geht von Dona Beatriz aus, wie ich Ihnen schon sagte. Sie seufzt tief auf und zwinkert Ihnen zu. Sie kneifen, und sie insistiert. Sie seufzt erneut, nähert sich Ihnen und versetzt Ihnen einen kleinen Schubser mit der Hüfte. (Ein Stoß, der in Anbetracht der Umfänglichkeit ihrer Hüften geringfügig, ja kaum mehr als ein Streifen sein dürfte.) Wir wollen einmal sehen: was würden Sie angesichts einer solchen Provokation tun, Bautista? Wie würden Sie reagieren? Wären Sie Kavaliers genug, die Abwesenheit Don Demetrios zu respektieren? Ich möchte Ihnen auch jetzt nicht verhehlen, daß Sie sich in einem argen Dilemma befinden, mein Freund. Sie sehen schon, wohin Sie auch schauen, überall lauern Gefahren. Denn wenn Dona Beatriz sich Ihnen schmeichelnd nähert und Sie den Drückeberger spielen, kann sie in Zorn geraten. Das ist schlecht. Sie wissen ja, was in solchen Fällen geschieht. Die Frauen vermögen demjenigen zu verzeihen, der sich bei ihnen vergißt, niemals jedoch dem, der eine günstige Gelegenheit nicht nutzt. Wenn die Frau Gräfin Ihnen also zuzwinkert und Sie errötend den Blick zu Boden senken, würden Sie Gefahr laufen, sie zu ihrer schlimmsten Feindin zu machen. Gewiß würde sie den Spieß umkehren und Sie bei der Rückkehr des Herrn Grafen eben jener Sünde zeihen, welche diese durchtriebene Person selbst zu begehen im Sinn hatte. »Da ist dieser niederträchtige Kerl!«, wird sie ausrufen. »Muß mein Gebieter es sich vielleicht gefallen lassen, daß seine Gattin von einem Diener bestürmt wird?« Eine solche Anschuldigung, mein armer Freund, würde Ihr Todesurteil bedeuten. Bevor Sie auch nur den Mund zu Ihrer Verteidigung öffnen könnten, würde Ihnen der Dolch des Herrn Grafen schon tief im Herzen stecken. Es mag also nicht überflüssig sein, wenn wir diesen heiklen Aspekt noch einmal in Ruhe betrachten. Die Alternative, vor der Sie stehen, ist folgende: den Handschuh dieser Liebesfehde aufheben oder ihn nicht aufheben, das heißt, sich der Laune von Dona Beatriz fügen oder ihr vom ersten Augenblick an jede Illusion nehmen. Was meinen Sie, Bautista? Ich glaube, daß es in gewisser Weise vorzuziehen wäre, wenn Sie auf das Liebeswerben dieser Frau eingingen. Weshalb nicht? Was können Sie verlieren? Vorwärts also, mein tapferer Romeo! Wenn die Frau Gräfin Ihnen tatsächlich zuzwinkert, dann antworten Sie ihr, ohne zu erröten, auf der Stelle mit einem leidenschaftlichen Blick. Was von diesem Augenblick an geschehen kann, ist ein Rätsel, denn die Frauen haben keinen Hang zur Logik, sie funktionieren mit Wechselstrom. Womöglich bekommt Dona Beatriz es mit der Angst zu tun, wenn sie sich von Ihrem Blick getroffen fühlt, und tritt den Rückzug an. Vielleicht rückt sie aber auch vor. Umso besser. Sie nehmen das Angebot an und damit auch das Risiko auf sich, daß der Herr Graf unerwartet zurückkehrt und Sie beide mitten bei der Arbeit überrascht. Ist Ihnen klar, Bautista, wie viele Komplikationen sich ergeben, immer wenn wir Menschen versuchen, die Zukunft vorauszusehen? Es gibt zahlreiche Alternativen. Allererste Prämisse – damit all unsere Ausklügelungen überhaupt einen Sinn haben – ist, daß Don Demetrio Sie in Gesellschaft seiner Gattin empfängt. Von da an entfaltet sich ein breiter Fächer möglicher Situationen. Erste Möglichkeit: Don Demetrio, in Anspruch genommen durch irgendeine dringende Angelegenheit, unterbricht die Lektüre des Briefes und verläßt das Zimmer. Zweite Möglichkeit: die Frau Gräfin schickt sich in unzweideutiger Weise an, Sie zu verführen. Dritte Möglichkeit: Sie, der Sie schließlich und endlich ein Mann sind, gehen auf das Angebot ein. Vierte Möglichkeit: Dona Beatriz macht, im Gegenteil zu manch anderen Frauen, im letzten Augenblick keinen Rückzieher. Fünfte Möglichkeit: der Herr Graf kommt vorzeitig zurück, ohne auf dem Korridor mit den Sporen zu klirren und
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