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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft
Autoren: Sibylle Berg
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Morgen und aus dem Bett stoßen, zum Kaffeemachen, und er ist nicht böse und wackelt in die Küche. Das kann ich doch nie mehr machen mit jemand anders, was wäre das denn für ein Verrat. Das hieße doch wirklich akzeptieren, dass ich so bin wie die um mich herum, die mich so stören mit der Grobheit ihrer Gedanken.
    Und ich saß auf dem Bett und hatte keine Ahnung.

Heute.
Morgen.
    Angenehm aufgewacht bin ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Es ist noch eine schwache Erinnerung da, an den Morgen, den ich früher sehr mochte, noch nicht verschmutzt vom Atem der anderen, kaum Motorengeräusche, gelbe Wolken, dumme Ideen, und warm sein, sich satt fühlen, und kaum einen Unterschied spüren zwischen Aufgehobensein bei Nacht und Sichbewegen am Morgen, mit dem Tag vor sich.
    Ich ändere zur Zeit nur die Position des Körpers.
    Vom Schlaf, der unruhig ist und voller atemloser Alpträume, zu etwas, was steht, in hoffnungslosem Licht. Ich öffne die Augen, weil der Körper schmerzt, der Geruch fremd ist und nicht angenehm. Ich liege verkrümmt neben dem Masseur, er hält meine Hand, die Berührung ist mir kaum erträglich, meine Haare riechen schlecht, meine Kleidung ist schmutzig, und mein Kopf tut weh. Das wird ein prächtiger Tag, ich sollte meine weißen Zähne in ein margarinebestrichenes Brötchen graben und danach die Kinder mit dem Van in die Schule fahren, wo sie als Cheerleader tätig sind.
    Die Erinnerung an die Nacht liegt unter schmutziger Wäsche.
    Ich nicke dem Masseur zu, der aufgewacht ist, die Kopfschmerzen sind so stark, dass sich kein Gefühl des Befremdens einstellt. Auf dem Weg in mein Zimmer kommt mir Kim entgegen, die mich mit einer Missachtung betrachtet, die eventuell nur in meinem schmerzenden Kopf stattfindet. Miteiner Zunge, die sich anfühlt wie ein alter Pelzmantel, versuche ich ihr die Tageszeit zuzuraunen. Ich will keinen sehen, will mich nicht schlecht fühlen, will nicht hier sein. Als ich aus dem Bad komme, besser riechend, mich jedoch nur unwesentlich erfreulicher fühlend, sitzt Kim auf meinem Bett. »Ich weiß genau, was du tust. Denk bloß nicht, Kinder wären blöd. Wir sind einfach kleiner, aber unser Gehirn ist gleich groß wie das eines Ausgewachsenen, nur dass es dann mit weniger Sauerstoff versorgt wird, weil all die Energie in eure alten großen Gliedmaßen geht.«
    Ich bin intellektuell zu schwerfällig, um diesen Gedankengang auf seine Richtigkeit zu überprüfen. »Was ich sagen möchte, ist«, fährt Kim fort, »du bist am Beginn einer Trinkerlaufbahn. Ich kenne die Anzeichen, ich habe sie bei meiner Mutter beobachten können. Natürlich weiß ich nicht, was da passiert, ob es euch glücklich macht, das Trinken, von außen betrachtet wirkt es nicht so, ich weiß auch nicht, was Süchtigsein wirklich bedeutet, ich kann dir nur sagen, es hilft nichts. Was auch immer ihr euch davon versprecht – es wird nicht erzeugt durch diese Getränke.« Kim sagt »diese Getränke«, und ich denke: Wovon redet sie? Und ich denke: Ich brauche so ein Getränk. Und zwar schnell. Ich spüre zwar eine starke Übelkeit, wenn ich an diese Getränke denke, wie sie in meinen Magen gelangen, zugleich sehne ich aber den Zustand wunderbarer Abwesenheit herbei. Unzusammenhängend fallen mir junge Männer ein, die gestreifte Hemden tragen und einen Hitlerjungenhaarschnitt und die nur den Begriff »herrlich« kennen, um Wohlgefallen zu formulieren. Herrlich. Der Zustand, das benebelte, das Nirgendwo-mehr-Hinmüssen, und kein Hunger mehr und nicht müde, dennnach dem Dämmern fällt man um. Ich sehe das Kind an, das mich aus seinen Augenschlitzen mustert, und frage mich, was ich in dieser absurden Umgebung tue, mit den Problemen mir fremder Menschen. Ein einsamer Großvater, ein einsames Enkelkind am Ende meiner Welt warten darauf, von mir gerettet zu werden, von einer, die sich nicht einmal selber retten kann, die zwischen nackten Chinesen sitzt, oder habe ich das nur geträumt.
    »Ich kann deine Probleme nicht lösen«, sage ich zu Kim. Und will raus, will diese Getränke kaufen, will schauen, ob ich heute den Mut habe, mich ins Wasser fallen zu lassen. Ich möchte schlafen und von roten Haaren träumen, auf einem großen Kopf auf einem Riesenkörper, der am Geländer einer Fähre steht, die auf die Insel kommt, und dann möchte ich aus dieser Situation raus, aus dieser verfahrenen, ich will nicht, dass Menschen etwas von mir erwarten. Ich erwarte doch auch nichts mehr.

Damals.
Vor einem
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