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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft
Autoren: Sibylle Berg
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gleichen Bilder: Eine Tür geht auf, und der Mann kommt auf mich zu. Manchmal mit einem Gipsbein, manchmal mit einem Verband in den roten Haaren, und immer halte ich ihn und werde gehalten und schwebe und es ist warm und die Welt wieder rund, weil ich nicht mehr alleine auf ihr bin, und immer das Fallen in einenAbgrund, wenn eine Schwester kommt, so höflich und glatt und poliert und lächelnd, als hätte sie mit einem Beißholz jahrelang trainiert, sie würde die Schultern zucken und mich wieder vergessen haben, noch während ich vor ihr stünde.
    Ich könnte in alle Polizeireviere laufen, in ausdrucksfreie Polizistengesichter schauen, sie beobachten, ihr endloses Stieren in den Computer und das Kopfschütteln danach und davor kein Hoffen, sondern Angst, bis zum Schwindel, dass da etwas stünde, im Computer, mit Unfall, Toten, Leichenschauhäusern, Schiffsschrauben, was auch immer mit einem Menschen passieren kann, ich wusste es durch jahrelanges Studium forensischer Bildbände.
    Ich hatte in allen Bars gefragt, mit dem Foto des Mannes in der Hand, und hatte die uninteressierten Blicke der Barbesucher gespürt, warum weinten sie nicht mit mir, warum schauten sie sich sein Bild nicht an, sagten nicht: »So einen reizenden, lieben Mann haben wir noch nie gesehen. Und: Ja, gestern war er hier, er hat sein Gedächtnis verloren, irgendwo am Hafen muss er liegen.« Ich konnte nichts mehr tun, und die Erkenntnis an jenem Morgen war: Ich befand mich alleine auf einer Insel, ich war eine ältere Frau wie Millionen andere, ohne Mann, ohne ein Ziel für ihre Hand in der Nacht, ohne etwas Warmes, das sie umgibt. Eine von jenen, die sich eingerichtet haben in ihrer Kälte, im Abwarten der letzten Etappe.
    Und ich saß da, an jenem Morgen, und die Welt ging unter vor dem Fenster, keinen Schritt konnte ich machen und keinen Gedanken haben, es tat zu weh, alles in mir schien wie ein Bauchschuss, nur ohne Bauch und ohne Schuss, und es war zerfetzt und Säure drübergeschüttet. Dieser Schmerz, der einen nicht atmen lässt, Hormone im Leib, Trauer, Angst,Panik, irgendwas aus dem Tierreich, von früher. Und sich nicht bewegen können. Und leise jaulen, weil das Gehirn täuschend echte Bilder produziert: Seine Hand auf meinem Arm, sein Gesicht neben mir, wenn er schläft wie ein großes dickes Baby, sein Lachen, wenn ich ihm aufgelauert habe, ihn erschrecke, wenn ich versuche zu lügen, was ich nicht kann. Die Ruhe wie in einem geschlossenen Raum, wenn ich mich neben ihm bewege, so muss man sich als Kind fühlen, neben einem Riesen, der der Vater ist und dem man vertraut, ohne das Wort dazu zu kennen, und die Hand in seine schiebe, und nichts kann einem mehr etwas anhaben, die Menschen nicht; diese eklige kleine Spezies mit ihren spitzen Gesichtern und ihren Talgdrüsen und ihrer Beschränktheit war egal.
    Ich hatte einen Menschen gefunden, der mich verstand, dem ich nichts erklären musste, der nicht an Gott glaubte und nicht an Wiedergeburt.
    Und draußen ist die Welt untergegangen, es war mir völlig unklar, was ich machen sollte, mit mir und dem Bett und der Welt, die nicht mehr existierte.
    Es war doch die Liebe gewesen, was am Ende bleibt.
    Oder eben nicht bleibt und klarmacht, darum, dass der Rest Qual sein wird. Und Angst. Und Versagen. Und Hass. Und Leiden. Und Krankheit.
    Momente der Zufriedenheit gab es beim Arbeiten, beim Lesen, beim Spazieren an Küsten, doch in den Momenten, die den Ekel, ein Mensch zu sein, vergessen machten, war ich nie allein gewesen.
    Und hatte doch immer gesucht, wusste ich jetzt, nach dem, der mich meine Begrenzung vergessen lässt, den habe ich gesucht. Und leider gefunden, sonst hätte ich mir sagen können:»Du hast es noch vor dir.« Das Erleben dessen, was die Welt zusammenhält. Ich habe es hinter mir. Ohne sentimental sein zu wollen, weiß ich, dass ich so einen Menschen nicht mehr finden werde. Wenn er weg ist, wenn er nicht wiederkommt, dann werde ich alleine bleiben, denn wie kann ich die Liebe zu dem Mann gegen eine andere austauschen? Manche können das, nachdem sie die große Liebe verloren haben. Nach ein paar Monaten haben sie eine neue. Und sagen: »Ich werde ihn/sie nie vergessen, und mit Bob/Claire ist es einfach was anderes. Eine andere Art von Liebe. Schön, dass ich das noch erleben kann.«
    Ich kann doch nicht den Mann austauschen. Ich kann doch nie mehr mit einem liegen, auf seinem Bauch, Boot spielen, kann doch nie mehr mit einem lachen unter der Decke und ihn ärgern am
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