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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft
Autoren: Sibylle Berg
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über mein Ausbleiben. In guter Stimmung ging ich durch die Hauptstraße der Insel, mit dem, was nächtlich dort vor sich ging. Es war nie ruhig, nie tot, das war angenehm. Betrieb in den Fischrestaurants, sich laut unterhaltende Chinesen, Kinder, die bis spät nachts auf den Straßen spielten, weil man hier einfach die Tür öffnen und sie in die Nacht schicken kann, ohne jede Sorge. Ich rannte die steile Treppe zu unserer Wohnung hinauf, öffnete die Tür.
    Die stille Dunkelheit der Wohnung empfing mich wie ein Schlag in den Bauch, ausgeführt von einem sehr starken Menschen.Ich konnte nicht atmen, und im gleichen Moment kam dieser Zustand des Außersichseins zurück, mit noch größerer Wucht als zuvor. Wenn selbst der Polizist nichts bewirken, wenn selbst er nicht alles wieder gutmachen konnte, wer sollte es dann? Ich fiel fast auf den Boden, krümmte mich zusammen, wimmerte, weinte, unklar im Kopf, ich wusste nicht, was das alles bedeutete, machte mir das Ausmaß des Grauens nicht klar, wie konnte ich.
    Ich lag am Boden, zusammengekrümmt, hatte aufgehört zu weinen, es war ja keiner da, der mich hätte trösten können, ich konnte meine Augen nicht schließen, den Atem nicht beruhigen, ich raste in einem Lift in den Keller, den ich nie zu erreichen schien.

Heute.
Nacht.
    Draußen in der Nacht, in die ich vor dem Schweigen geflohen bin, riecht es so, dass ich meine, ich würde mich daran erinnern, wenn ich jemals die Gelegenheit dazu bekäme. Eine Mischung aus feuchtem Heu und frischem Brot. Ich komme am Haus von Rob, dem toten Ufobauer und Koch, vorbei. Wie schnell sich die Welt nach dem Tod eines Menschen schließt. Wie eine Schnittwunde im Finger eines sehr gesunden Kindes.
    Dass man so schreien muss, um sicherzustellen, dass man einen Platz auf der Welt hat. Immer unterwegs, um für sich selber Werbung zu machen, für seine Arbeit, seine Idee, da geht ja nichts mehr ohne Geschrei, nichts mehr ohne dauernde Arbeit, Pausen sind nicht drin, Pausen werfen dich aus dem System, aus dem System geworfen, geht es heute direkt in die Gosse, weil es keinen Ort mehr gibt für aus dem System Gefallene. Keine kleinen Strandbars in Spanien oder Hüttenhotels in Thailand, alles ist zu teuer geworden, zu voll, zu dicht. Was das wohl für Auswirkungen auf den Geisteszustand der Welt haben mag, dieses: Keine Pausen machen können, nicht nachdenken können, weil die Zeit, Sie wissen schon. Zufrieden sein mit dem, was man hat, nicht mehr möglich, es hat ja kaum einer mehr was. Oder zu viel. Und ich komme an einem Geschäft vorbei, der Teufel lenkt mich ins Innere, führt meine Hand zum Alkohol, und erleichtert verlasse ich den Laden mit einer Flasche, die so groß ist, dass ichmich wie eine Ameise fühle, die eine Hamsterleiche in den Bau zieht. Am Strand auf meiner Bank tritt nach zehn Minuten die mir bereits vertraute Verlangsamung der Gedanken ein. Träge folgt mein Blick einem Boot, das am Horizont unterzugehen scheint; zum ersten Mal an diesem Tag kann ich atmen, ohne dass der Luftstrom in Brusthöhe blockiert wird, von diesem Geschwür, das die Trauer dort hinterlassen hat. Ich bin noch nüchtern genug, um zu verfolgen, wie sich der Alkohol in mir verteilt und wie er die Körperfunktionen umgehend verlangsamt, aufweicht, wattiert und der Mund sich öffnet, bis ein wenig Speichel herausläuft. Eigentlich alles in Ordnung, denke ich, oder was ein betrunkenes Hirn so unter Denken versteht. Ein angenehmer warmer Platz, ein Meer, eine neue kleine Familie. Ich werde nicht zurückgehen in mein vertrautes altes Leben, das ich mir alleine nicht vorstellen kann. Ich werde hierbleiben und etwas Neues beginnen. Das ist ein angenehmer Gedanke, hierbleiben, mich für nichts entscheiden müssen, jetzt ist das Boot am Horizont komplett verschwunden, hat sich aufgelöst und ist als übertrieben heller Mond in die Luft gestiegen.
    Zeit, zu gehen, sage ich und höre meine Stimme laut und schleppend. Ich beginne mit mir zu reden, das ist interessant, ich hebe meine Hand und folge ihr zurück ins Zentrum. Die Hand in der Luft, die vor mir hergeht und mir hilft, gerade zu laufen. Ich bin der Mensch, der am geradesten laufen kann. Weltweit. Die Hand führt mich an einer Bar vorbei, vor der zwei Chinesen sitzen, die augenscheinlich gute Freunde von mir sind. Sie begrüßen mich mit großem Hallo. Da ich eine rechte Schwere in den Beinen habe, setze ich mich zu ihnen. Die beiden jungen Männer scheinen mir sehr schön undfreundlich. Ihr Englisch
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