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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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dem kindischen Blödsinn! Seid’s ganz deppert? Wir machen keine Politik, wir machen Musik, und streiten werden wir uns deshalb bestimmt nicht! In ein paar Stunden geht’s nach München: Oktoberfest, Bier, Weiber! Vielleicht reißen wir was auf! Und irgendwo gibt’s Jazzmusik, Freunde! Ich will jetzt wirklich nichts mehr hören! Sagt’s mir lieber: Wie lassen wir’s morgen an Udos Geburtstag so richtig krachen? Das ist die Frage, die die Menschheit bewegt!«
    Recht hat er! Sofort entspinnt sich eine lebhafte Diskussion um all die wunderbaren leiblichen und musikalischen Genüsse, die uns in München erwarten. Nur Bruno kommt nicht mit. Er hat keinen Spaß an Festen und Trubel und Streß. Er trinkt nie, raucht nicht, geht fast immer schon nach Hause, wenn wir drei anderen noch irgendwo durch die Lokale ziehen, möchte sich einfach nur ausruhen, den freien Tag nutzen, um endlich mal wieder auszuschlafen. Niemand nimmt es ihm übel.

    Der Regen ist wieder stärker geworden. Ich ziehe die Jacke fester um mich. Eingehängt gehen wir vier weiter. Gleich sind wir da. Man riecht bereits die Tankstelle, eine kleine, behelfsmäßige Hütte mit Zapfsäulen, direkt vor unserem Fenster. Wenn wir bei offenem Fenster schlafen und das Pech haben, daß der Auspuff eines tankenden Lastwagens auf unser Fenster gerichtet ist, kommt es vor, daß er uns beim Anstarten und Wegfahren eine Dieselwolke durch das Fenster stößt, so daß der Vorhang in das Zimmer geweht wird. Dann ist erst mal minutenlanges gemeinsames Handtuchwedeln und Lüften angesagt. Aber bei geschlossenem Fenster zu schlafen, zu viert in dem kleinen Raum, ist auch nicht gerade angenehm. Das offene Fenster ist ein bißchen wie ein Lotteriespiel, aber wir versuchen es immer wieder. Die Hoffnung auf das kleine Glück des Alltags.
    Unsere Gemeinschaftsbude liegt im Hochparterre eines alten Hauses in einer dunklen, unwirtlichen Seitenstraße, in die sich sicher noch nie ein Tourist verirrt hat. Ein länglicher, schmaler Raum. An jeder Wand zwei Betten, dazwischen ein schmaler Gang. Das Fenster direkt auf die Tankstelle hin, davor ein kleiner Tisch und ein Stuhl. Das Treppenhaus heruntergekommen. Ausgetretene Stufen. Geruch nach Bohnerwachs und Spießigkeit.
    Ebenerdig auf der rechten Seite die Hausmeisterwohnung, links die Tür zu unserem Zimmer. Dazwischen in einer Nische des Treppenhauses ein kleines Kaltwasserbecken, offen, vor keinerlei Blicken geschützt, unsere einzige Waschmöglichkeit, daneben die Tür zur Toilette. Die Miete von 600 Schilling monatlich, 150 Schilling für jeden von uns, ist erschwinglich. »Nächstes Jahr, wenn der Chef uns wiederhaben will, fordern wir aber mehr Gage. Und dann wohnen wir besser«, hatten wir uns gegenseitig schon oft versichert. Doch letztendlich ist es uns allen nicht so wichtig. Es sind ja auch nur ein paar Wochen, und wir kommen fast nur zum Schlafen hierher. Wir sind nur für die Festspielsaison engagiert, konnten gerade noch um drei Wochen verlängern, für mich unverzichtbar, damit ich mir den Anzug leisten kann. Danach wird man weitersehen.
    An vier quer über den Raum gespannten Wäscheleinen hängen an Kleiderbügeln all unsere Habseligkeiten. Für einen Schrank ist kein Platz im Zimmer. Ein gewöhnungsbedürftiger Anblick. Zwei Pullover, vier Hemden, einige Unterhosen, einige Paar Socken auf
meiner Leine. Meine graue Alltagshose ist auch schon nicht mehr die beste, stelle ich bei ihrem Anblick wieder mal fest. Aber es kommt im Leben nicht auf die Hose an, sondern auf das Herz, das in ihr schlägt, hatte mein Vater immer wieder gesagt. Hose hin oder her, der Bühnenanzug ist einfach wichtiger. Vielleicht bekomme ich von meinen Eltern ja Kleidung zum Geburtstag geschenkt. Sie brauche ich eigentlich am dringendsten.
    Buddy geht als erster ans Waschbecken, beschließen wir, Klaus als zweiter, dann ich und zuletzt Bruno, der ja morgen ausschlafen kann. Mit Schwamm und Lappen müssen wir uns notdürftig waschen. Wenn jemand kommt, schnell ein Handtuch umbinden, ins Zimmer laufen. Privatsphäre gibt es nicht. Aber zu den Zeiten, da wir nach Hause kommen, läuft kaum jemand durchs Haus. Und wenn wir nachmittags aufstehen, ist man hier bei der Arbeit. So haben wir einigermaßen Ruhe. Der letzte wischt den Fußboden auf. Wir wechseln uns ab.
    Meinen Eltern habe ich unsere Unterkunft natürlich ein wenig anders beschrieben. Für sie wohnen wir in einer kleinen, bescheidenen, sauberen Wohnung. Ein Zimmer für jeden.
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