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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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Gesicht macht mich betroffen. Jeder einzelne Freier ist für sie noch eine Selbst-überwindung, teuer erkauft gegen die eigene Selbstachtung. Leere in ihren Augen. - »Ich hab mich so an dich gewöhnt, hab mich so sehr an dich gewöhnt, an die Art, wie du beim Küssen deine Augen schließt …«, zwingt der Refrain mich ausweglos weiter. Kurzes, aber heftiges Versagergefühl. Als Mann, nicht als Musiker. Das kratzt am Ego. Was ist das nur für eine Welt?
    Der Glatzkopf grinst mich an. Nicht bösartig, nur gönnerhaft. Ein Schein wandert auf unseren Teller. Deutlich sichtbar, schließlich will man zeigen, was man hat. Wir trauen unseren Augen kaum: 1000 Schilling! Das sind 250 für jeden von uns! Buddy, Klaus und ich sehen uns an: Das ist die Fahrt nach München! Hurra!
    Während wir einpacken, schmieden wir eifrig Pläne. Selbst unser Chef scheint mit dem Abend zufrieden zu sein. Er besteht nicht auf dem üblichen »Granada«, seinem Lieblingslied, das wir an fast jedem Morgen nach getaner Arbeit noch für ihn spielen müssen. Heute läßt er uns einfach so ziehen.

Neutralität
    Wir treten hinaus auf die Straße, die in fast vollkommener Dunkelheit vor uns liegt. Nur spärlich brennt da und dort eine schwache Straßenlaterne. Der Mond ist bereits untergegangen. Eine trübe Nacht. Kein Stern am Himmel. Es ist kühl. Immer noch regnet es leicht, wie seit Tagen. Der sprichwörtliche Salzburger Schnürlregen, der jetzt, Ende September, besonders in die Kleidung und in die Seele kriecht.
    Am Horizont hinter dem Gaisberg ein blau-silberner Schein, der bereits den neuen Tag erahnen läßt. Plötzliche Stille, die irritiert und befreit. Stille, gegen die ich nicht anspielen muß, die ich atmen, in der ich mich frei bewegen kann, die mir Raum gibt für meine Phantasie. Meistens fällt es schwer, sie zu ertragen nach einer durchspielten Nacht. Plötzliche Leere, die fast schmerzt. Das hält der aufgekratzte Kopf nicht aus. Dann lieber noch ins »Maxi«, ein Frühlokal, in dem wir an fast jedem Morgen eine Kleinigkeit essen, bevor wir schlafengehen. Noch unter Menschen sein, Gespräche, Lebendigkeit, nicht auf sich selbst zurückgeworfen sein. Langsam entspannen.
    Heute hat dazu keiner von uns Lust. »Nichts wie nach Hause«, beschließen wir. Schließlich wollen wir so früh wie möglich los.
    Die Straße ist fast menschenleer, wie immer um diese Zeit. Rund um den Bahnhof und das »Esplanade« ist die Zerstörung noch allgegenwärtig. Der Bahnhof selbst nur provisorisch instand gesetzt, wie vieles in dieser Zeit. Vereinzelte Reisende mit Koffern in ihren Händen. Die ersten Frühzüge gehen bald. Da und dort ein Radfahrer, kaum Autos zu dieser frühen Stunde zwischen den Tagen. Zu spät für die Nachtschwärmer und zu früh für die Frühaufsteher.
    Die ersten Blätter des Herbstes sind schon gefallen. Feucht vom Regen. Wir sprechen nicht viel, hängen unseren Gedanken nach. Rauszukommen, das wird mir guttun. Wenigstens für einen Tag. Neue Eindrücke, das ist wichtig.
    Wir überqueren die Lehener Brücke mit ihrem Stahlgeländer und den feingliedrigen Jugendstilornamenten. Vor uns liegt Salzburg-Lehen.
Eine ganz andere Welt. Auch hier überall Baustellen. Riesige Wohnsilos sollen entstehen. Man nennt das »sozialer Wohnungsbau«. Nicht sehr einladend. Manche Häuser sind beschädigt, nicht unbedingt vom Krieg, der hier nicht sein gewalttätigstes Gesicht gezeigt hat. Der Verfall der Zeit. Schutt am Straßenrand, grau in grau, manche Fenster mit Pappe verklebt, schlechte Straßen.
    Ein Zeitungsjunge kommt uns auf einem Fahrrad entgegen. Wir kaufen ihm die Morgenzeitung ab.
    Ein Land wird unabhängig, das beherrschende Thema. Vor wenigen Monaten wurde der Staatsvertrag geschlossen. Neue Verantwortung, neue Möglichkeiten. Ein Drahtseilakt. Selbständigkeit bedeutet auch, auf sich allein gestellt zu sein, gemessen zu werden, sich beweisen zu müssen, seinen eigenen Weg zu finden.
    Die Illusion der Geradlinigkeit entlarvt sich schnell. Auch in der Politik. Nicht nur Diplomatie, Verträge, das große Parkett. Ohne Leopold Figls Trinkfestigkeit beim Staatsbesuch in Moskau wäre es nicht gegangen, munkelt man über unseren Außenminister.
    Es gibt keine vorgezeichneten Wege, das habe auch ich in den vier Jahren seit meinem Weggang von zu Hause gelernt. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Eine harte Schule. Wie auch die Freiheit, die gelebt werden muß. »Es gibt keine Freiheit als solche. Sie muß definiert, mit Sinn gefüllt und
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