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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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Wohnung ganz in der Nähe. Dann und wann, wenn sie keinen Freier hat und nachts nicht allein sein will, bittet sie mich, bei ihr zu bleiben. Zwei junge Menschen auf der Suche nach dem eigenen Leben, und ich bin manchmal froh, der Enge meiner Gemeinschaftsbude zu entfliehen. »Love Is Here To Stay« ist ihr Lieblingslied. Ein Hauch Romantik in einer ganz und gar unromantischen Wirklichkeit. Ich werde es als nächstes für sie spielen, beschließe ich. Das letzte Lied des Abends. Endlich!
    Der Teller auf meinem Klavier ist für die vorgerückte Stunde noch ziemlich leer. Außer unserem »Lockvogel«, einem 20-Schilling-Schein, den wir selbst darauf placiert haben, nur ein paar verlorene Münzen. Ein trauriger Anblick. Ich habe immer noch ein gespaltenes Verhältnis zu dem Teller und dem Schild »Bitte für die Musik«, das Buddy Urban, unser Schlagzeuger und mit seinen über dreißig Jahren der älteste, cleverste und erfahrenste von uns vieren, eines Tages ohne mich zu fragen kurzerhand auf meinem Klavier aufgestellt hat.

    »Das haben wir doch nicht nötig!« habe ich aufgebracht protestiert. »Wir sind Musiker und keine Bettler! Das kommt überhaupt nicht in Frage, das ist unter unserer Würde!« Und ich schob den Teller mit einer so heftigen Geste beiseite, daß er beinahe zu Boden gefallen wäre.
    Mit einer bestimmten, keinen Widerspruch duldenden Bewegung hat Buddy ihn wieder auf seinen Platz gerückt. »Der Teller bleibt. Ich haue kein einziges Mal mehr auf meine Scheißtrommel ohne den Teller! Deine Würde oder ich, entscheide dich!«
    Wir haben abgestimmt. Alle außer mir waren dafür gewesen, daß der Teller bleibt. Und sie hatten natürlich recht. Von der Gage allein hätten wir unmöglich leben können.
    »Du mußt lächeln, dich bedanken«, hatte Buddy dann auch noch gefordert, als ich bei den ersten Spenden verschämt auf die Tasten gestarrt hatte. Das ging nun wirklich zu weit!
    »Aber ich kann mich doch nicht bedanken, wenn ich singe!« rechtfertigte ich mich.
    »Doch, du kannst! Lässig und freundlich mußt du das machen! Ganz locker und selbstverständlich!« Und er machte es mir vor. Er hat leicht reden, dahinten an seinem Schlagzeug, denke ich. Doch im Grunde bin ich ihm dankbar, auch wenn das herbe Gefühl geblieben ist.
    Die feine Abendgesellschaft rüstet sich zum Aufbruch. Die Herrschaften müssen wie alle Gäste an meinem Klavier vorbei, das in der Nähe der Tür steht. Und an unserem Teller. Ich habe mit »Love Is Here To Stay« für Patsy bereits begonnen. Nicht jetzt, denke ich - und gleichzeitig: Hoffentlich legen sie etwas drauf, wir haben es wirklich nötig. Ich beobachte die eleganten Besucher aus den Augenwinkeln. Man erhebt sich, hilft den Damen in die feinen Mäntel. Ein Schein bleibt auf dem Tisch. Der Kellner wird sich freuen. An uns denkt wieder mal kein Schwein, denke ich und gönne dem Kellner das Zubrot von Herzen. Jetzt sind sie gleich an meinem Klavier. Ein lässiger Griff in die Hosentasche, und ein 50-Schilling-Schein für unseren Teller.
    Das ist immerhin ein Tag Essen für uns alle. Buddy sieht mich auffordernd an. Zwischen zwei Zeilen schmuggle ich mich schnell vom Mikrophon weg. Freundlich verbeuge ich mich leicht. »Dankeschön und eine gute Nacht!«.

    Buddy strahlt mich an. Ich habe dazugelernt. Ich lächle zurück und male mir doch nicht ohne Bitterkeit die Gefühle meiner Eltern aus, wenn sie den Teller, das Schild auf meinem Klavier sehen. Was ist das nur für ein Beruf? würden sie sicher denken, auch wenn sie so etwas noch nie ausgesprochen haben. Ich weiß, daß sie sich Sorgen machen, auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen.
    Die Tür öffnet sich. Stimmengewirr. Lachen. Eine Gruppe von auffällig gekleideten, etwas dubios wirkenden Gestalten, wie man sie zur Zeit allerorts sieht, »Schieber« werden sie genannt, und etwas gewöhnlichen, lauten Begleiterinnen, offenbar Kolleginnen von Patsy, aber von der harten, abgebrühten Sorte, betritt das Lokal. Die Gewinner der Zeit, clevere, alles andere als seriöse Leute, die aus dem Wiederaufbau ebenso ihr Kapital schlagen wie zuvor aus Krieg und Verderben. Das Verhökern von allem, womit sich in der noch kaum überwundenen Zeit der Knappheit Geschäfte machen ließ, von geklauten und geschmuggelten Zigaretten, Autoreifen, Benzin aus Militärbeständen bis hin zu Waffen, hatte sie nach oben gespült. Sie können alles »organisieren«, was gewünscht wird, und ihre Methoden sind nicht zimperlich. Der Schwarzmarkt
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